Das Kuratorium des KWIE
Eine wichtige Leitungsfunktion übte in der frühen Institutsgeschichte neben der Direktion das Kuratorium des KWIE aus. Es überwachte die Verwaltung des Instituts und wählte auch den Institutsdirektor, der als Staatsbeamter angestellt war. Seine Einsetzung war von der Bestätigung durch staatliche Stellen abhängig.Die Zuständigkeit lag zunächst beim preußischen Staat und ging nach 1933 an die Reichsregierung über.[1] Dem Kuratorium des KWIE oblag die Aufsicht über den Haushalt, die wissenschaftliche Tätigkeit und die Arbeitsergebnisse des Instituts.
Zusammensetzung des Kuratoriums
Im November 1917 wählte das zunächst siebenköpfige Kuratorium Friedrich Springorum zu ihrem ersten Vorsitzenden. Im gleichen Monat wurde die Satzung des KWIE verabschiedet und Fritz Wüst zum ersten Direktor des KWIE ernannt.[2]
Seit 1924 setzte es sich aus elf Mitgliedern zusammen. Fünf Mitglieder wurden vom Institutsträger und Hauptfinanzier, dem Verein Deutscher Eisenhüttenleute (VDEh), in das Gremium entsandt, darunter der Kuratoriumsvorsitzende. Die KWG war mit vier Repräsentanten vertreten, von denen jedoch einer auch Mitglied des VDEh sein musste. Zudem hatte jeweils ein hochrangiger Repräsentant des Preußischen Kultusministeriums und des Reichsinnenministeriums einen Kuratoriumssitz inne. Letztere schieden im Zusammenhang mit der Gründung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung im Jahr 1934 aus dem KWIE-Kuratorium aus. Ab 1935 war das Gremium zehnköpfig. Es war darin nur noch ein Repräsentant des angesprochenen Reichswissenschaftsministeriums vertreten. Langjährige Mitglieder des Kuratoriums des KWIE waren unter anderem Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und der frühere preußische Kultusminister Friedrich Schmidt-Ott als Vertreter der KWG sowie für den VDEh der Stahlindustrielle Albert Vögler und der langjährige Geschäftsführer des VDEh Otto Petersen.[3] Sie bildeten auch über das Jahr 1933 hinaus das personelle Rückgrat des Kuratoriums und somit der Verwaltung des Instituts. Bis auf Petersen waren alle auch in der Verwaltung der KWG führend. Der frühere Politiker Schmitt-Ott amtierte seit 1920 als Zweiter Vizepräsident der KWG und war langjähriger Präsident der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Er war ein rechtskonservativ gesinnter Monarchist, der der Weimarer Republik ablehnend gegenüberstand. Von den Nationalsozialisten wurde Schmidt-Ott mit Misstrauen behandelt. Er blieb bis 1937 im Verwaltungssauschuss der KWG vertreten. Dem KWIE-Kuratorium gehörte er noch länger an. Schmitt-Ott galt den Nationalsozialisten als Repräsentant des alten Systems. Mitte 1934 wurde er durch den neu berufenen Reichswissenschaftsminister als Präsident der Notgemeinschaft entlassen.[4]
Das Kuratorium nach 1933
In der personellen Zusammensetzung des übrigen Kuratoriums hatte es 1933/34 und in den Jahren danach keinen auffälligen Wechsel oder gar Bruch gegeben. Hinweise darauf, dass personelle Neuerungen etwa Konsequenzen politischer oder rassistischer Verfolgungsmaßnahmen waren oder auf einer gezielten Umgestaltung des KWIE-Kuratoriums im Sinne des Nationalsozialismus basierten, finden sich nicht.
Abwartende Haltung des Kuratoriums nach der NS-„Machtübernahme“ 1933
Von einer zunächst abwartenden Haltung zeugen Diskussionen um die Verschiebung der Neuwahl des KWIE-Kuratoriums zwischen VDEh-Geschäftsführer und Kuratoriumsmitglied Petersen und dem Vorsitzenden Friedrich Springorum. Petersen schlug vor, die für den 4. Oktober 1933 anstehenden Neuwahlen des Kuratoriums auf 1934 hinauszuschieben, „zum mindesten bis zu einer gewissen Klärung der Verhältnisse“ – wie es hieß. Die Überlegungen Petersens waren taktischer Natur. Im Schreiben hieß es: „Da ferner die nächsten Jahre, d.h. die Amtszeit des neu zu bildenden Kuratoriums, im Rahmen der allgemeinen wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung in Deutschland für das Institut vielleicht besonders wichtige Entscheidungen bringen“ könnten, „auch vielleicht die Neubaupläne neue Gestalt gewinnen, nachdem jetzt erneut von seiten der Stadt Düsseldorf Fühlung genommen und eine Hilfsaktion im Rahmen der allgemeinen Arbeitsbeschaffung angeregt worden ist“ gehe seine „Meinung dahin, die Entscheidung über die Zusammensetzung des Kuratoriums möglichst noch etwas hinauszuschieben; später könnte dann gegebenenfalls auch den sich anbahnenden Entwicklungen in der Eisenindustrie in etwa Rechnung getragen werden.“ Weiterhin vermutete Petersen, dass auch die KWG und die Ministerien keinen Wert auf eine baldige Neubesetzung des Gremiums legen würden.[5] Petersen wollte die Besetzung des Kuratoriums an die weiteren politischen Entwicklungen anpassen, gerade auch im Hinblick auf die vom Düsseldorfer Oberbürgermeister Hans Wagenführ in Aussicht gestellte Wiederaufnahme der früheren Institutsneubaupläne. Tatsächlich wurden die Neuwahlen dann auf 1934 verschoben.[6]
Starke Kontinuitäten im KWIE-Kuratorium
Eine „Gleichschaltung“ des Kuratoriums fand nicht statt, vielmehr gab es starke Kontinuitäten. Unter den Repräsentanten des VDEh waren Persönlichkeiten aus dem nationalkonservativen Spektrum, mit unterschiedlicher Nähe zur NSDAP, und generell einer starken Affinität zu NS-Kriegs- und Rüstungszielen und einer Ausrichtung des KWIE auf die Rüstungsforschung. Beispiele für neue Kuratoriumsmitglieder, die diese Tendenz belegen, waren der 1934 aufgenommene Direktor der Krupp AG und Vorsitzende des VDEh-Werkstoffausschusses Paul Goerens aus Essen sowie der Sohn von Friedrich Springorum, Fritz Springorum.[7]
1933 war überhaupt kein neues Kuratoriumsmitglied hinzugekommen. Zugleich bildeten Umbesetzungen auf ministerialer Ebene, beim VDEh sowie Änderungen in der KWG-Hauptverwaltung einen Hintergrund für personelle Umgestaltungen innerhalb des Kuratoriums, wie sich an verschiedenen genannten Beispielen festmachen lässt. Diese Vorgänge waren zum Teil direkte Folgen der staatlichen Neuordnung nach der NS-„Machtübernahme“ und der nationalsozialistischen „Gleichschaltung“ auf Staats- und Verbandsebene sowie innerhalb der KWG.
In diesem Jahr verließen lediglich der Generaldirektor der Eisenhütte Oberschlesien, Rudolf Brennecke, und der langjährige Kurator der Universität Göttingen Geheimrat Justus Theodor Valentiner das Gremium. Brennecke war im KWIE aufgrund seiner Funktion als Vorsitzender des Zweigvereins des VDEh in Oberschlesien vertreten. Er trat im Laufe des Jahres 1933 aber von der Leitung der oberschlesischen Werke und vom Vereinsvorsitz zurück, womit wohl auch seine Position im Kuratorium des KWIE obsolet wurde. Hintergrund bildeten offenbar interne Unstimmigkeiten mit dem Geschäftsführer des VDEh Petersen, die im Zusammenhang mit Plänen standen, den Einfluss des Zweigvereins im Gesamtverband nach der NS-„Machtübernahme“ zu beschränken.[8] Justus Theodor Valentiner (1869-1952) war langjähriger Kurator der Universität Göttingen und blieb es auch bis 1937. Er hatte von November 1932 bis zum Frühjahr 1933 kurzzeitig die Tätigkeit als Leiter der Hochschulabteilung im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung ausgeübt und deshalb einen Sitz im KWIE-Kuratorium innegehabt. Es ist nicht davon auszugehen, dass seine politische Zuverlässigkeit im Sinne des Nationalsozialismus von staatlicher Seite, von Seiten des VDEh oder des KWIE in Frage gestellt worden war. Am 5. Mai 1933 wurde Valentiner in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Im Rahmen seiner folgenden Tätigkeit an der Universität Göttingen war er jedoch persönlich für die politische und rassische Überprüfung von Beamten im Zusammenhang mit der Umsetzung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums an den Hochschulen zuständig.[9]
Ausscheiden von Max Planck und Friedrich Glum aus dem Kuratorium 1936
1936 schieden mit Max Planck und Friedrich Glum zwei bisherige Spitzenvertreter der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) aus dem Kuratorium aus. Hintergrund bildete der Rückzug beider Persönlichkeiten von ihren Ämtern in der KWG. Zwar hatten beide Protagonisten seit 1933 für eine „Selbstgleichschaltung“ und Anpassung der KWG an das neue Regime gesorgt, dennoch gab es eine politische und habituelle Distanz dieser rechtskonservativen Wissenschaftsfunktionäre zur NS-Bewegung. Konkreten Anlass für den Rücktritt gaben dann in beiden Fällen vehemente Angriffe seitens nationalsozialistischer Wissenschaftsvertreter und der NS-Presse. Nachfolger im Kuratorium wurden als neuer Präsident der KWG der Chemiker Carl Bosch sowie der neue Generaldirektor Ernst Telschow.[10]
Eintritt des NS-Wissenschaftsfunktionärs Rudolf Mentzel 1936
1936 kam als Vertreter des zuvor neugebildeten Wissenschaftsministeriums außerdem der Chemiker Rudolf Mentzel (1900-1987) hinzu. 1937 kam außerdem, wiederum für den Verein Deutscher Eisenhüttenleute, der Generaldirektor der Maximilianshütte-Eisenwerk-Gesellschaft in Sulzbach-Rosenberg, Karl Raabe hinzu. 1942 folgten als Neulinge Walter Gerlach aus München für die KWG sowie Alfred Pott (Gleiwitz). Mentzel selbst stand für einen neuen Typus des nationalsozialistischen Wissenschaftsfunktionärs. Er war seit den frühen 1920er-Jahren SA- und NSDAP-Mitglied, seit 1932 dann Mitglied der SS mit dem Rang eines SS-Oberführers. Er galt dementsprechend als ein „Alter Kämpfer“ und war ein aktiver Parteifunktionär. So fungierte er Anfang der 1930er-Jahre als NSDAP-Kreisleiter für Göttingen. Mentzel war innerhalb des Ministeriums unter Bernhard Rust als führender Referent im Amt Wissenschaft tätig und für die KWG zuständig. Hintergrund seiner Aufnahme in das KWIE-Kuratorium war, dass zuvor die ministerielle Verantwortung für die KWG vom Reichsinnenministerium auf das Reichswissenschaftsministerium übertragen worden war. 1933 bis 1935 hatte er als Abteilungsleiter am KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie fungiert.[11]
Wie sich an der Einsetzung Mentzels zeigt, wirkte sich die nationalsozialistische Durchdringung und Ausrichtung der Ministerien und Bildungspolitik auf Reichsebene auch auf die Zusammensetzung im Kuratorium des KWIE aus. Anders als bei verschiedenen anderen KWI wurde das Kuratorium allerdings auch in den späteren Jahren nicht mit Vertretern der Wehrmacht, der SS oder anderen NS-Parteiorganisationen besetzt. Nach 1933 waren „der Machtgewinn älterer Institutionen oder auch einzelner NS-Organisationen […] die wichtigsten Anlässe für die Veränderung der personellen Zusammensetzung“ an den Kuratorien der verschiedenen KWG-Institute. In Kuratorien verschiedener Institute wurden Vertreter der Wehrmacht, der SS oder der DAF aufgenommen. Bis 1937 wurden die Kuratoriumsmitglieder nominell vom Senat ernannt, eigentlich erfolgte die Aufnahme aber im Rahmen eines Kooptationsverfahrens, in die die jeweiligen Kuratoriumsmitglieder ebenso wie die Spitze der KWG-Verwaltung einbezogen waren. Seit 1937 wurde das Führerprinzip angewendet – Bosch und Telschow beriefen nun offiziell die Kuratoriumsmitglieder. Dies war allerdings mehr ein symbolischer Akt, in der Realität wurden neue Kuratoriumsmitglieder durch die bestehenden Kuratorien weiterhin in Abstimmung mit der Generalverwaltung und Vertretern des Verwaltungsausschusses verhandelt.[12]
Nach Kriegsende 1945
Nach dem Krieg bestand das alte Kuratorium nicht mehr. Als Übergangslösung wurde im Herbst 1946 ein Beratender Ausschuss eingesetzt. Anfang 1949 erhielt das Institut neben einer neuen Satzung auch ein neues Kuratorium.
Einzelnachweise
→ zum ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis
- ↑ Dönges: Geschichte, S. 9, S. 20.
- ↑ Dönges: Geschichte, S. 9; Rasch: Zur Gründungsgeschichte, S. 288-291.
- ↑ Dönges: Geschichte, S. 3-5, S. 20; Flachowsky: Alle Arbeit, S. 159; Marsch: Zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, S. 345-347.
- ↑ Vgl. Flachowsky: Von der Notgemeinschaft zum RFR, S. 110-131; Hachtmann: Wissenschaftsmanagement Bd. 1, u.a. S. 300, S. 505.
- ↑ VDEh, Ac 207, Band 1, Entwurf eines Schreibens von Petersen an Springorum, 27.09.1933.
- ↑ VDEh, Ac 207, Band 1, Gemeinsame Sitzung des Kuratoriums und des Bauausschusses, 18.12.1933.
- ↑ Dönges: Geschichte, S. 20. Maier: Der VDEh.
- ↑ VDEh, Ac 207, Band 1, Entwurf eines Schreibens von Petersen an Springorum, 27.09.1933. Siehe auch: Kerkhof: Transnationale Vereinspolitik, S. 328.
- ↑ Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik, [1]; siehe auch: Tollmien: Emmy Noether,S. 205.
- ↑ Zum Hintergrund: Hachtmann: Wissenschaftsmanagement Bd. 1, S. 597-641; Renn/Kant/Kolboske: Stationen der KWG/MPG, S. 40.
- ↑ Hachtmann: Wissenschaftsmanagement Bd. 1, S. 273 f., S. 276 f.; Renn/Kant/Kolboske: Stationen der KWG/MPG, S. 39 f.
- ↑ Hachtmann: Wissenschaftsmanagement Bd. 2, S. 697-711.