Beratender Ausschuss und neues Kuratorium

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Otto Petersen war einer der wenigen Mitglieder des alten Kuratoriums, die auch dem Beratenden Ausschuss angehörten.
Im März 1947 konnte Institutsdirektor Wever den Mitgliedern des Beratenden Ausschusses mitteilen, dass die britische Besatzungsmacht dem KWIE die Genehmigung zur Wiederaufnahme seiner Forschungsarbeit erteilt hatte.

Ein wichtiger Schritt für den Wiederaufbau des Instituts und die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit war die Rekonstruktion eines übergeordneten Lenkungsgremiums. Das alte Kuratorium bestand nach dem Kriegsende nicht mehr. In der unmittelbaren Nachkriegszeit hätten darüber hinaus – so ein späterer Bericht – „die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse eine sofortige Wiederbesetzung des Kuratoriums unmöglich“ gemacht. Als Übergangslösung wurde im Herbst 1946 ein Beratender Ausschuss eingesetzt, um die Funktion des Kuratoriums teilweise zu übernehmen bzw. „um dem Direktor den nötigen Rückhalt bei den wichtigen Verhandlungen über die Weiterführung des Instituts, die Rückverlagerung aus Clausthal und den Wiederaufbau in Düsseldorf zu geben.“[1]

Kontinuitäten und Brüche

Mehrere Persönlichkeiten aus dem Verein Deutscher Eisenhüttenleute (VDEh), KWG und dem Wissenschaftsbereich stellten sich zur Verfügung. Die bisherigen Kuratoriumsmitglieder Walther Gerlach, VDEh-Geschäftsführer Otto Petersen und KWG-Generalsekretär Ernst Telschow setzten in diesem Rahmen ihre Leitungsfunktion fort.[2]

Einige andere frühere Kuratoriumsmitglieder fielen aufgrund zu großer politischer Belastung aus oder waren gestorben: Der frühere Vorsitzende Albert Vögler hatte am 14. April 1945 Suizid begangen, um der Verhaftung durch die Alliierten zu entgehen. Paul Goerens wurde im September 1945 von den Alliierten in das Internierungslager Velen gebracht, wo er am 22. Oktober Selbstmord verübte.[3] Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, der seit 1941 schwer erkrankt war und außerdem zu den prominentesten Unterstützern Hitlers innerhalb der Industrie gezählt hatte, war ebenfalls nicht mehr im Gremium vertreten. Eigentlich stand er auf einer Liste der Alliierten von Personen, die sie bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen anklagen wollten. Wegen seiner schweren Erkrankung erhielt Krupp aber ein Attest einer Ärztekommission, vernehmungsunfähig zu sein und musste nicht erscheinen. Die deutsche Öffentlichkeit distanzierte sich zum Teil von Gustav Krupp.[4] Einer der wichtigsten NS-Wissenschaftspolitiker, Rudolf Mentzel, der SS-Brigadeführer gewesen und von den Alliierten interniert worden war, war für das KWIE nicht mehr tragbar.[5] Bezüglich der Zusammensetzung eines aufzustellenden „Notkuratoriums“ schrieb Petersen 1946 an Telschow: „Was ist denn noch vorhanden? Herr Pott lebt abseits in Coburg, fern von seinen Werken, die für immer verloren sind, Herr Raabe lebt als kranker Mann in Maxhütte im Ruhestand, Vögler tot, Goerens tot [...] Schmitt-Ott wahrscheinlich unerreichbar und wohl auch nicht mehr gewillt mitzuwirken, v. Bohlen erklärt sich von selbst, Mentzel kommt nicht mehr in Frage.“[6]

Neue Vertreter im Beratenden Ausschuss des KWIE

Ein deutlicher personeller Bruch mit der NS-Zeit in der Führung des Kuratoriums sowie in der KWG und im VDEh war durch den Tod Vöglers entstanden. Ansonsten war der Ausschuss zum einen mit Persönlichkeiten besetzt, die einen unterschiedlichen Grad der politischen Verstrickung mit dem Nationalsozialismus aufwiesen, zum anderen aber auch mit früheren Kritikern des NS-Regimes, die nun im Rahmen der Wissenschaftspolitik der Alliierten eine zentrale Stellung im Hochschulbereich erhalten hatten.

So stellten sich der neue VDEh-Vorsitzende Eduard Herzog, der neue VDEh-Geschäftsführer Karl Peter Harten, Eduard Houdremont, Heinrich Konen und Johannes Thyssen als weitere Mitglieder des Beratenden Ausschusses zur Verfügung.[7] Herzog war seit den 1930er-Jahren Betriebsdirektor bei den Vereinigten Stahlwerken und Vorsitzender des Stahlwerksausschusses des VDEh gewesen. Er war Teil des Arbeitskreises der Eisenschaffenden Industrie, beriet das Heer in Rüstungsfragen und wurde von Rüstungsminister Fritz Todt 1940 für sein Engagement für die Rüstungswirtschaft ausgezeichnet. Er war also hochgradig in die NS-Kriegs- und Rüstungswirtschaft integriert. Allerdings geriet Herzog in den folgenden Jahren zunehmend unter Druck, da seine Ehefrau Dorothy gemäß der Rassendefinition der Nationalsozialisten jüdisch war. Seit 1941 wurde seine bisherige Stellung bei den Vereinigten Stahlwerken bzw. bei der August Thyssen-Hütte AG beschränkt. Seine Frau wurde 1944 festgenommen und deportiert. Herzog selbst sollte in ein Lager der Organisation Todt (OT) eingewiesen werden, entging diesem Schicksal aber durch die persönliche Fürsprache des Aufsichtsratsvorsitzenden der August Thyssen-Hütte AG Walter Rohland bei Rüstungsminister Albert Speer. Nach Kriegsende wurde Herzog Vorstandsvorsitzender der August Thyssen-Hütte AG. Seit Juli 1946 stand er dem VDEh vor, wurde in Duisburg entnazifiziert und als unbelastet eingestuft. Eine Dortmunder Kommission verweigerte ihm allerdings die Entlastung aufgrund seiner Rolle bei den Vereinigten Stahlwerken.[8]

Petersen rückte im Unterschied zu den im Vorstand des VDEh vertretenen führenden deutschen Stahlindustriellen nicht in den Fokus der alliierten Ermittlungen. Er wurde nach Kriegsende nicht interniert und blieb noch bis Anfang 1946 VDEh-Geschäftsführer. Im Entnazifizierungsverfahren wurde Petersen im September 1947 aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft als „Mitläufer“ eingestuft. Ein Arbeitsverbot wurde nicht erteilt, und so spielte er auch später im VDEh und für das KWIE eine wichtige Rolle, auch wurde keine Vermögenssperre verhängt. Sanktionen gegen ihn waren aber die Aufhebung des passiven Wahlrechts und, dass er die britische Besatzungszone nicht verlassen durfte.[9] Politisch belasteter war der Eisenhütteningenieur und Industrielle Houdremont, der dem neuen Gremium des KWIE aber nur kurze Zeit angehörte. Er war ab 1940 NSDAP-Mitglied. Als stellvertretender Direktor der Friedrich Krupp AG und bis 1944 Generalbevollmächtigter der Friedrich Krupp Werke spielte Houdremont eine wichtige Rolle in der Organisation der deutschen Stahlproduktion für die NS-Kriegs- und Rüstungswirtschaft. Im November 1947 wurde Houdremont bei den Nürnberger Prozessen im Rahmen des Krupp-Prozesses angeklagt und im Juli 1948 in zwei von acht Anklagepunkten für schuldig befunden. Er hatte eine zehnjährige Haftstrafe zu verbüßen, aus der er aber bereits 1951 entlassen wurde.[10]

Telschow konnte sich trotz seiner erheblichen Verstrickung an der Spitze der KWG behaupten, da er im Rahmen der Entnazifizierung von zahlreichen hochrangigen Wissenschaftsvertretern, etwa von Max Planck, gedeckt wurde.[11] Der Physiker Gerlach war in seiner Eigenschaft als Mitglied des Senats der KWG ab 1937 Mitglied im KWIE-Kuratorium gewesen; er hatte unter anderem seit 1944 im Reichsforschungsrat als Fachspartenleiter Physik amtiert und war in der deutschen Uranforschung führend gewesen. An seiner Person lässt sich die Kontinuität der deutschen Wissenschaftslandschaft nach 1945 gut ablesen. Bei Kriegsende wurde er von den Alliierten in Farm Hall interniert. 1946 bis 1948 war er Professor an der Universität Bonn, ab 1948 bis 1951 Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ferner war er 1949 bis 1951 der erste Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, 1951 bis 1961 Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und von 1956 bis 1957 Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). Von 1937 bis 1946 war Gerlach Mitglied im Senat der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.[12] Bei Konen hingegen handelte es sich um einen früheren Kritiker der Nationalsozialisten. Er war Mitbegründer der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft und bis 1933 Mitglied des Senats der KWG. Da er in seiner Funktion als Rektor der Bonner Universität nach der NS-„Machtübernahme“ die Hakenkreuzbeflaggung der Universität und den Hitlergruß verweigert hatte, wurde er zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Nach Kriegsende setzte ihn die britische Militärregierung erneut als Rektor der Universität Bonn ein. Er wurde 1946 nordrhein-westfälischer Kultusminister (CDU), trat allerdings Ende 1947 zurück und gab Anfang 1948 auch seine Direktorenposition auf. Hintergrund war, dass er von der britischen Militärregierung beschuldigt wurde, die Entnazifizierung der Studierenden nachlässig durchzuführen.[13] Der Bonner Philosoph Thyssen wiederum war nach 1946 Leiter der Hochschulabteilung des Oberpräsidiums der Nord-Rheinprovinz. Er hatte dem Nationalsozialismus distanziert gegenübergestanden, war aber dennoch Parteimitglied geworden.[14]

Das neue Kuratorium des Instituts

Die Überführung der KWG in die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) im Jahr 1948 bildete einen wichtigen Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte auch des Eisenforschungsinstituts. Es gehörte zu den Gründerinstituten der MPG. Ab Herbst 1948 führte es den Namen „Max-Planck-Institut für Eisenforschung“.[15] Im Februar 1949 erhielt das MPIE eine neue Satzung. Neben der Namensänderung beinhaltete diese unter anderem die Regelung, dass das Institut nun zur Hälfte aus öffentlichen Mitteln finanziert werden sollte. Der Einfluss der MPG wurde damit vergrößert.[16]

Mit der neuen Satzung wurde auch das Kuratorium wieder ins Leben gerufen. Es wurde von zehn auf zwölf Mitglieder vergrößert.[17] Der als Interimslösung dienende Beratende Ausschuss war damit aufgelöst. Gemäß der Satzung gehörten der Kultusminister und der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen dem Gremium an. Sechs Mitglieder wurden vom VDEh ernannt, vier Mitglieder von der MPG – davon musste mindestens eins auch VDEh-Mitglied sein. Neben Petersen, Harten, Herzog und Telschow, die bereits Mitglieder des Beratenden Ausschusses gewesen waren, gehörten acht weitere Personen dem Kuratorium an: Sepp Ammareller, Werner Köster (Direktor des Instituts für Metallforschung) und Karl Simoneit vom VDEh, Otto Hahn, Erik Nölting und Hermann Reusch von der MPG sowie die nordrhein-westfälischen Landesminister Christine Teusch (Kultusministerium) und Heinrich Weitz (Finanzministerium).[18]

Einzelnachweise

zum ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis

  1. VDEh, Ac 207, Band II, Kuratoriumssitzung, 09.02.1949.
  2. VDEh, Ac 207, Band II, Kuratoriumssitzung, 09.02.1949.
  3. Rasch: Albert Vögler. Siehe auch: http://www.archiv.rwth-aachen.de/biographischedatenbank/.
  4. Friz,: Alfried Krupp und Berthold Beitz.
  5. Rasch: Mentzel, Rudolf (Neue Deutsche Biographie 17).
  6. VDEh, Ac 207, Band II, Schreiben von Petersen an Telschow, 08.03.1946.
  7. VDEh, Ac 207, Band II, Kuratoriumssitzung, 09.02.1949, Einladung des VDEh an Freunde und Förderer des KWIE, 24.09.1946. Siehe auch: MPIE: 10 Jahre Eisenforschung, S. 11; Zilt: Rüstungswirtschaft, S. 190.
  8. Zilt: Rüstungswirtschaft, S. 178-187, S. 192, S. 196.
  9. Bleidick: Schrödter und Petersen, S. 93 f.
  10. Schenck: Houdremont, Edouard (Neue Deutsche Biographie 9); Zilt: Edouard Houdremont.
  11. Hachtmann: Wissenschaftsmanagement Bd. . 2, S. 1126-1155.
  12. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement Bd. . 2, S. 690 f.; Albrecht/Hermann: Die KWG im Dritten Reich, S. 405. Siehe auch: Nachruf der Bayerischen Akademie der Wissenschaften auf Gerlach https://www.badw.de/fileadmin/nachrufe/Gerlach%20Walther.pdf; Rusinek: Walther Gerlach.
  13. Vgl. Heinemann: Wiederaufbau und Neugründungen, S. 407-472, S. 444. Siehe auch: Orth: Gedenkbuch, S. 40-51; Gerlach: Konen, Heinrich (Neue Deutsche Biographie 12).
  14. Pöggeler: Vielstimmigkeit, S. 92;Leaman/Simon: Philosophie-Professoren, S. 46 https://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/philosophendossiers.pdf; George: Studieren in Ruinen, S. 63.
  15. AMPG, Abt. II, Rep. 1 A, Nr. 18/7-4-9, 1. SP MPG v. 26.02.1948; Henning/Kazemi: Handbuch Bd. 1, S. 407. Siehe auch: AMPG, Abt. II, Rep. 1 A, IB-Akten, MPIE, Kuratorium Bd. 1 (1945-31.12.1959); Flachowsky: Wagenburg, S. 694.
  16. VDEh, Ac 207, Band II, Kuratoriumssitzung, 09.02.1949; Henning/Kazemi: Handbuch Bd. 1, S. 407.
  17. MPIE: 10 Jahre Eisenforschung, S. 10.
  18. VDEh, Ac 207, Band II, Kuratoriumssitzung, 09.02.1949. Siehe auch: MPIE: 10 Jahre Eisenforschung, S. 11 f.