BIOS-Untersuchungen
Die alliierten Wissenschaftsmissionen, die Anfang 1945 deutsche Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen begutachteten, wurden in der öffentlichen Wahrnehmung oft mit der ALSOS-Mission gleichgesetzt. Doch gab es eine Vielzahl an Missionen, die von unterschiedlichen britischen und amerikanischen Regierungsstellen in Auftrag gegeben wurden. Zu den Institutionen, die mit diesen Wissenschaftsmissionen verbunden waren, zählten unter anderem das British Intelligence Objectives Subcommittee (BIOS), das Combined Intelligence Objectives Subcommittee (CIOS) und die amerikanischen Field Intelligence Agency, Technical (FIAT), deren Berichte der Öffentlichkeit heute zum Großteil zugänglich sind.[1] Die BIOS-Untersuchungen sind insofern besonders, da das KWIE gleich in mehreren Untersuchungsberichten eine zentrale Rolle einnimmt.
Ziele und Vorgehen
Die vom BIOS initiierten Untersuchungen waren oft auf ein spezifisches Thema oder eine spezifische Einrichtung beschränkt. So erhielten alle untersuchten Themen und Einrichtungen dafür eine „Target No.“.[2] Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden jeweils in einem eigenen Bericht an das BIOS weitergeleitet. Daher wurden insgesamt fast 2.000 sogenannte „BIOS Reports“ verfasst, die teilweise nur wenige Seiten umfassen. Darüber hinaus verfassten die beauftragten Wissenschaftler auch umfangreiche Berichte zu ganzen Industriezweigen.[3] So befasste sich der BIOS Report 676 mit der Metallverarbeitenden Industrie in Deutschland: „The object of the visit was to study the work, equipment and methods of a group of metallurgical laboratories, on order to discover anything of military or industrial vale, and to obtain any information which should influence the direction of future metallurgical research in this country.“[4]
Diese Beschreibung des Untersuchungsauftrags macht deutlich, dass es dem BIOS keinesfalls nur um Rüstungsforschung ging. Stattdessen war alles wichtig, was sowohl für das britische Militär als auch die Industrie nützlich sein könnte – im Falle des KWIE also besonders für die britische Eisen- und Stahlindustrie. Daher waren die politische Verstrickung und NSDAP-Parteimitgliedschaften von deutschen Wissenschaftlern nicht Gegenstand der Berichte. Dies wird auch an den Berichten, die das KWIE betreffen deutlich: Diese haben gemeinsam, dass ihr Fokus auf den Untersuchungsergebnissen des KWIE liegt. Parteimitgliedschaften und die Frage, inwiefern die Forschungen des KWIE zu Rüstung und Kriegseinsatz beigetragen hatten, spielten keine Rolle. Stattdessen wurden nur die technischen Details der Forschungsergebnisse berichtet.
Die „BIOS Reports“
Insgesamt befassen sich drei Berichte, die aus den BIOS-Untersuchungen hervorgingen mit dem KWIE. Der „BIOS Report 205: The KWI für Eisenforschung, Düsseldorf“ wurde von G. J. Thiessen vom kanadischen National Research Council für das BIOS-Committee verfasst und umfasste lediglich acht Seiten.[5] Das zentrale Thema waren Messverfahren mittels Röntgenstrahlung: „The Use of X-rays in Stress Measurement“.[6]
Das Untersuchungsgebiet des zweiten Berichts („BIOS Report 676: German Metallurgical Laboratories for Ferrous Metals with special Reference to the K.W.-Institute for Iron Research“) war wesentlich breiter angelegt und behandelte die metallverarbeitende Industrie und vor allem die Eisenforschung in Deutschland auf rund 100 Seiten. Der Bericht wurde von fünf Autoren aus dem britischen Ministry of Supply zusammengetragen.[7] Das KWIE war das Hauptziel der Untersuchung und wurde auf rund 60 Seiten behandelt. Die Darstellung des Instituts umfasste eine Beschreibung der Einrichtung, eine Übersicht der Abteilungen und Informationen zur Finanzierung. Besonderes Interesse hatten die britischen Autoren an den Mitteilungen aus dem KWIE, von denen einige in London nicht verfügbar waren. Der Großteil des Berichts befasste sich daher mit den technischen Details der Untersuchungen, die in den Mitteilungen veröffentlicht wurden.[8] Auch der „BIOS Report 1177: Research on the Mechanical Working of Metals. Interrogation of Dr. Ing. Werner Lueg of the Kaiser-Wilhelm-Institut, Düsseldorf“ ist sehr technisch. Er konzentriert sich wie der Titel schon besagt auf die Forschungsergebnisse Luegs.[9] Der Bericht wurde von Dr. H. Ford von der British Iron & Steel Research Association angefertigt.[10] Lueg war in seiner Funktion als stellvertretender Abteilungsleiter der Mechanisch-Technologischen Abteilung des KWIE in Düsseldorf geblieben, als der [[Großteil des Instituts nach Clausthal verlegt worden war. Daher konnte er nicht gemeinsam mit den anderen Mitarbeiten befragt werden.[11] Von Juli bis September 1946 hielt sich Lueg auf Anweisung der Alliierten dann in England auf. Er wurde damals im Rahmen der BIOS-Mission dorthin verbracht und weiteren Befragungen unterzogen.[12] Das Verhältnis zu den Befragern war offenbar kooperativ und kollegial. Nach seiner Rückkehr nach Düsseldorf hielt Lueg weiterhin engen Kontakt zu verschiedenen Wissenschaftlern aus dem BIOS-Team.[13]
Untersuchungen am KWIE
Die Untersuchungen am KWIE, die zu den BIOS-Berichten führten, fanden im Anschluss an die ALSOS-Mission statt, die bereits im April 1945 begonnen hatten. Im Juni 1945 wurden die amerikanischen Truppen in Clausthal von den Briten abgelöst. Aufgrund des britischen Interesses an der vom KWIE betriebenen Materialforschung, befragten auch britische Wissenschaftler KWIE-Mitarbeiter über deren Forschungen. Insgesamt wurden rund 20 wissenschaftliche Mitarbeiter befragt, die meisten im September und Oktober 1945 in Clausthal.[14] Unter den Befragten waren die Abteilungs- oder Laborleiter Walter Luyken, Heinz Kaiser, Peter Bardenheuer, Maria Waterkamp, Helmut Maetz, Anton Pomp, Max Hempel und Alfred Krisch.[15] Die Institutsmitarbeiter verfassten für die Briten 84 Berichte über laufende, aber noch nicht veröffentlichte Arbeiten. Diese werden im BIOS Report 676 detailliert aufgelistet. [16] Gemäß Frenz Wevers Angabe hatten die Institutsmitarbeiter bereits bis Juli 1945 „insgesamt 77 mehr oder weniger umfangreiche Berichte“ über die wissenschaftliche Tätigkeit des KWIE während des Krieges verfassen müssen.[17] Darüber hinaus wurde Franz Wever am 6. November befragt, nachdem er aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt war.[18]
Zwar werden in den BIOS-Berichten die Begriffe „interrogated“ und „interrogation“ benutzt, doch lassen sich diese Situationen – soweit sie sich rekonstruieren lassen – eher als Befragungen denn als Verhöre beschreiben.[19] So wurden aufgrund der Befragungen keine Verfahren eröffnet. Auch in den Entnazifizierungsverfahren wurden die Inhalte der BIOS-Berichte nicht berücksichtigt. Ebenso waren die Befragungen der KWIE Mitarbeiter keine Versuche der „Abwerbung“ deutscher Wissenschaftler nach Großbritannien, wie sie beispielsweise am KWI für Metallforschung vorkamen.[20]
Einzelnachweise
→ zum ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis
- ↑ LC, Finding Aids, Technical Reports and Standards, https://www.loc.gov/rr/scitech/trs/trsgencoll.html (01.07.2019).
- ↑ Vgl. BIOS Report 205.
- ↑ LC, Finding Aids, Technical Reports and Standards, https://www.loc.gov/rr/scitech/trs/trsgencoll.html (01.07.2019).
- ↑ BIOS Report 676, S. 2.
- ↑ BIOS Report 205.
- ↑ BIOS Report 205.
- ↑ BIOS Report 676.
- ↑ BIOS Report 676.
- ↑ BIOS Report 1177.
- ↑ BIOS Report 1177.
- ↑ BIOS Report 1177.
- ↑ LAV NRW, NW 1002-C-61779, Entnazifizierungsakte Werner Lueg, Fragebogen des Military Government, 14.04.1948.
- ↑ MPIE, 9-0-02-1, verschiedene Schriftwechsel 1946.
- ↑ BIOS Report 676.
- ↑ BIOS Report 676.
- ↑ BIOS Report 676.
- ↑ VDEh, Ac 207, Band II, Bericht über den Wiederaufbau des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Eisenforschung seit Kriegsende, 28.01.1949.
- ↑ BIOS Report 205.
- ↑ Z.B. BIOS Report 205.
- ↑ Maier: Wehrhaftmachung, S. 23-26.