Ablauf der Entnazifizierungsverfahren

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Viele führende Wissenschaftler am KWIE wurden, obwohl sie nicht unbeträchtliche NS-Belastungen aufwiesen, lediglich in die Kategorie IV der „Mitläufer“ eingeordnet. Franz Wevers ist dafür nur eines von mehreren Beispielen.
Wer, wie Anton Eichinger, lediglich Mitglied der DAF, deren Mitgliedschaft für KWIE-Mitarbeiter nahezu obligatorisch war, und - über den VDEh - des NSBT war, wurde oft als „Entlasteter“ in die Kategorie V eingeordnet.

Erste Entnazifizierungsverfahren

Parallel zu wissenschaftlichen Begutachtungen der Alliierten und zu den Bemühungen um eine Arbeitsgenehmigung hatte für die übrigen Mitarbeiter des KWIE in Clausthal im Sommer des Jahres 1945 die erste Phase der Entnazifizierungsverfahren begonnen. Da sich Clausthal ebenso wie Düsseldorf nun in der britischen Besatzungszone befand, war dafür die britische Militärregierung zuständig. In der ersten Phase der Entnazifizierung entschieden zunächst die lokalen und regionalen Militärbehörden mit Unterstützung verschiedener deutscher Stellen, Komitees, Antifa-Ausschüsse und Betriebsräte über die Tragbarkeit einzelner Beschäftigter.[1] Für die zu überprüfenden Personen begannen die Entnazifizierungsverfahren in der Regel mit der Aufforderung zum Ausfüllen und Einreichen eines Fragebogens. Weiterhin mussten Angaben zum beruflichen Werdegang oder den Einkommensverhältnissen gemacht werden.[2]

Zweite Phase der Entnazifizierung

Nach den ersten Maßnahmen der politischen „Säuberung“ ging die Entnazifizierung ab etwa Anfang 1946 in eine neue Phase über. Die meisten Mitarbeiter der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) und ihrer Institute mussten sich in der Folgezeit einem Entnazifizierungsverfahren unterziehen.[3] Die verschiedenen Kaiser-Wilhelm-Institute (KWI) waren auf die unterschiedlichen Besatzungszonen verteilt, so dass unterschiedliche Stellen für die Verfahren zuständig waren. Einen Schwerpunkt bildete dabei die britische Zone, in der sich auch das KWIE befand.[4] Für die nun folgenden Verfahren wurden zum Teil die schon eingeforderten Fragebögen der Militärregierungen verwendet, zum Teil mussten von den Betroffenen neue Fragebögen ausgefüllt werden, wie aus den Entnazifizierungsakten von KWIE-Angehörigen hervorgeht.

Vereinheitlichung der Verfahren und fünf Kategorien

Vor allem die Amerikaner bemühten sich im Laufe des Jahres 1946 um eine einheitliche Entnazifizierung nach ähnlichen Richtlinien. Nach langen Verhandlungen wurden dazu die Kontrollratsdirektiven Nr. 24 und Nr. 38 verabschiedet.[5] Ein System aus fünf Kategorien sollte zukünftig der Einreihung der zu überprüfenden Personen zugrunde gelegt werden:

  • „Hauptschuldige“ (Kategorie I),
  • „Belastete (Aktivisten, Militaristen, Nutznießer)“ (Kategorie II)
  • „Minderbelastete“ (Kategorie III)
  • „Mitläufer“ (Kategorie IV)
  • „Entlastete“ (Kategorie V)

Außerdem wurden entsprechend der Einstufung differenzierte Sühnemaßnahmen festgelegt.[6] Eine Vereinheitlichung der Verfahren wurde auch in der britischen Zone forciert. Zu Beginn des Jahres 1946 wurden in allen Stadt- und Landkreisen der britischen Zone deutsche Entnazifizierungsausschüsse eingerichtet, auf die nun die Aufgabe der politischen Beurteilung überging. Bei den Mitgliedern der Entnazifizierungsausschüsse handelte es sich vor allem um Vertreter der Parteien und Gewerkschaften.[7] Neben den Hauptausschüssen existierten Sonderausschüsse für den Bergbau, sowie eigene Ausschüsse für die Kirchen und Hochschulen.[8] Sie sprachen gegenüber der Militärregierung anfangs lediglich Empfehlungen aus, jemanden in seiner Stellung zu „belassen“ oder zu „entlassen“. Erst im Frühjahr 1947 wurde in der britischen Zone flächendeckend das fünfstufige amerikanische Kategoriensystem mit den entsprechenden Sanktionen eingeführt. Dies geschah in Anwendung der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946.[9]

Im Oktober 1947 wurde die Durchführung der Entnazifizierung in der britischen Zone dann weitgehend den bereits bestehenden deutschen Entnazifizierungsausschüssen übertragen, die damit den andernorts begründeten Spruchkammern entsprachen. Dies wurde mit Verordnung Nr. 110 am 1. Oktober 1947 verfügt. Die Briten behielten sich lediglich die Oberaufsicht vor. Für die Kategorien I und II beanspruchten sie weiterhin die Alleinkompetenz.[10] In Nordrhein-Westfalen ging dann im Dezember 1947 die Zuständigkeit für die Entnazifizierung auf die Landesregierung über, die einen Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung im Lande Nordrhein-Westfalen ernannte. Von nun an brauchten die Entscheidungen der Entnazifizierungsausschüsse nicht mehr von der britischen Militärregierung bestätigt zu werden, dennoch ließ sie sich weiterhin Bericht erstatten.[11]

„Persilscheine“ und milde Urteile

Der Verlauf der Entnazifizierung am KWIE bildete keinen Sonderfall, sondern entsprach dem Verlauf innerhalb der KWG als Ganzem. Zugleich war die Entnazifizierung der KWIE- und KWG-Angehörigen wesentlich durch die Rahmenbedingungen und den Verlauf der Entnazifizierung in den Jahren 1946 bis 1949/50 insgesamt beeinflusst, sowohl durch das Vorgehen der alliierten respektive britischen Behörden als auch durch die beteiligten Akteure auf deutscher Seite.

Für die insgesamt milde Einstufung der Angehörigen der KWG und somit auch der Institutsmitarbeiter des KWIE waren Stellungnahmen sowie zahlreich abgegebene Entlastungszeugnisse (sogenannte „Persilscheine“) von Kollegen, Bekannten, Geistlichen usw. ausschlaggebend, um welche sich die von der Überprüfung Betroffenen bemühten, um ihre Beurteilung positiv zu beeinflussen. Für die Beschaffung solcher Zeugnisse wurden verschiedene Netzwerke mobilisiert. Besondere Bedeutung maßen die Entnazifizierungsausschüsse ferner den Leumundszeugnissen des KWIE-Betriebsrats zu.

Insgesamt war eine sogenannte „Persilscheinkultur“ oder „Persilscheinmaschinerie“, in der sich ganze Gruppen gegenseitig wohlwollende Zeugnisse ausstellten, zentraler Faktor für die massenhafte Entlastung. Dieser Mechanismus griff – wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen – innerhalb der Wissenschaft, innerhalb der KWG und so auch am KWIE.[12] Mit diesen „Persilscheinen“ wurden auch frühere NS-Aktivisten reingewaschen bzw. zumindest ihre politische Verstrickung deutlich relativiert.

Einzelnachweise

zum ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis

  1. Faust: Entnazifizierung http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-entnazifizierung-im-noerdlichen-rheinland/DE-2086/lido/582d73e2d055e9.37648454 (01.07.2019).
  2. Beyler: Reine Wissenschaft, S. 18; Faust: Entnazifizierung. Siehe auch: Pädagogisches Institut: Nach dem Zweiten Weltkrieg, S. 178-187; Niethammer: Die Mitläuferfabrik; Vollnhals: Entnazifizierung.
  3. Beyler: Reine Wissenschaft, S. 20.
  4. Heinemann: Wiederaufbau und Neugründungen, S. 409; Beyler: Reine Wissenschaft, S. 22-24.
  5. Königseder: Das Ende der NSDAP, S. 152 f.
  6. Königseder: Das Ende der NSDAP, S. 152 f.
  7. Beyler: Reine Wissenschaft, S. 18.
  8. Faust: Entnazifizierung.
  9. Königseder: Das Ende der NSDAP, S. 158; Faust: Entnazifizierung.
  10. Königseder: Das Ende der NSDAP, S. 159; Faust: Entnazifizierung.
  11. Pädagogisches Institut: Nach dem Zweiten Weltkrieg, S. 180.
  12. Vgl. Sachse: Persilscheinkultur. Ash: Ressourcenaustausche, S. 323; Beyler: Reine Wissenschaft, S. 26; Hachtmann: Wissenschaftsmanagement Bd. 2, S. 1103-1121.