Forschung im Besatzungskontext: Unterschied zwischen den Versionen

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==Die Großversuchsanlage Praschkau==
==Die Großversuchsanlage Praschkau==
Während des Kriegs führte das KWIE [[Übersicht: Autarkie- und Rüstungsforschung|Forschungen]] im Kontext der deutschen Besatzung verschiedener Länder Europas durch. Insbesondere die Forschungstätigkeit der [[Die Erzabteilung|Erzabteilung]]  stand im direkten Zusammenhang mit der deutschen Besatzung sowohl in Ost- als auch in Westeuropa. In diesem Kontext arbeitete das KWIE mit Institutionen des Besatzungsapparats zusammen.  
Während des Kriegs führte das KWIE [[Übersicht: Autarkie- und Rüstungsforschung|Forschungen]] im Kontext der deutschen Besatzung verschiedener Länder Europas durch. Insbesondere die Forschungstätigkeit der [[Die Erzabteilung|Erzabteilung]]  stand im direkten Zusammenhang mit der deutschen Besatzung sowohl in Ost- als auch in Westeuropa. In diesem Kontext arbeitete das KWIE mit Institutionen des Besatzungsapparats zusammen.  
Zentrale Bedeutung für das KWIE erlangte etwa eine Großversuchsanlage, die von den Vereinigten Oberschlesischen Hüttenwerken im polnischen Praschkau errichtet worden war. Praschkau lag in dem Teil Polens, der nach der Besetzung als [https://de.wikipedia.org/wiki/Wartheland „Reichsgau Wartheland“] dem Deutschen Reich eingegliedert worden war. Die Versuchsanlage, die Ende 1941 oder Anfang 1942 in Betrieb genommen wurde, wurde mit Unterstützung des [[Zusammenarbeit mit dem Rohstoff- und Devisenstab|Reichsamts für Wirtschaftsausbau]] errichtet. In ihr sollten vor allem Untersuchungen zur Anreicherung von Eisensandsteinen aus Oberschlesien und den angrenzenden polnischen Gebieten durchgeführt werden, wobei ein Verfahren zur magnetisierenden Röstung angewendet wurde, das vom KWIE ausgearbeitet worden war. Wissenschaftler des KWIE, namentlich [[Walter Luyken|Walter Luyken]] und Helmut Kirchberg von der Erzabteilung, führten persönlich verschiedene Untersuchungen in Praschkau durch.<ref>MPIE 24-1-00-1, Versuchsanlage Praschkau, 12.09.1942; MPIE, 24-2-10-2, Schreiben von Luyken zur Versuchsanlage Praschkau, 12.06.1942. Die Rolle der Erzabteilung wird auch in einem Vortrag deutlich, den Luyken im April 1941 über die „großdeutschen Bodenschätze unter besonderer Berücksichtigung von Kohle und Erz“ hielt. MPIE, 24-9-02-6, Die großdeutschen Bodenschätze unter besonderer Berücksichtigung von Kohle und Erz, Vortragsmanuskript, gehalten 30. April 1941.</ref>  
Zentrale Bedeutung für das KWIE erlangte etwa eine Großversuchsanlage, die von den Vereinigten Oberschlesischen Hüttenwerken im polnischen Praschkau errichtet worden war. Praschkau lag in dem Teil Polens, der nach der Besetzung als [https://de.wikipedia.org/wiki/Wartheland „Reichsgau Wartheland“] dem Deutschen Reich eingegliedert worden war. Die Versuchsanlage, die Ende 1941 oder Anfang 1942 in Betrieb genommen wurde, wurde mit Unterstützung des [[Zusammenarbeit mit dem Rohstoff- und Devisenstab|Reichsamts für Wirtschaftsausbau]] errichtet. In ihr sollten vor allem Untersuchungen zur Anreicherung von Eisensandsteinen aus Oberschlesien und den angrenzenden polnischen Gebieten durchgeführt werden, wobei ein Verfahren zur magnetisierenden Röstung angewendet wurde, das vom KWIE ausgearbeitet worden war. Wissenschaftler des KWIE, namentlich [[Walter Luyken|Walter Luyken]] und Helmut Kirchberg von der Erzabteilung, führten persönlich verschiedene Untersuchungen in Praschkau durch.<ref>MPIE 24-1-00-1, Versuchsanlage Praschkau, 12.09.1942; MPIE, 24-2-10-2, Schreiben von Luyken zur Versuchsanlage Praschkau, 12.06.1942.</ref> Die Rolle der Erzabteilung wird auch in einem Vortrag deutlich, den Luyken im April 1941 über die „großdeutschen Bodenschätze unter besonderer Berücksichtigung von Kohle und Erz“ hielt.<ref> MPIE, 24-9-02-6, Die großdeutschen Bodenschätze unter besonderer Berücksichtigung von Kohle und Erz, Vortragsmanuskript, gehalten 30. April 1941.</ref>  


==Erzforschungen in der Slowakei und der Ukraine==
==Erzforschungen in der Slowakei und der Ukraine==
Ein Teil der KWIE-Forschungen zielte außerdem auf die Nutzbarmachung der Erze der Slowakei ab, die nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei ein Bündnispartner der [https://de.wikipedia.org/wiki/Achsenm%C3%A4chte faschistischen Achsenmächte] geworden war. Luyken unternahm mehrere Forschungsreisen in die Slowakei. Er besuchte verschiedene Gruben- und Hüttenwerke und nahm dort Proben.<ref>MPIE, 24-9-02-4, Aktennotiz über eine Studienreise in die Slowakei, 09.07.1942. Siehe zu den Stationen dieser Reise, Kap. 1. Da Luyken sich in seinem Bericht über die jüdischen Vorbesitzer beider Gruben äußerte, handelte es sich wahrscheinlich um „arisierte“ Unternehmen.</ref> Unter anderem konnten fahlerzhaltige Spateisensteine der Grube Marienhütte aufbereitet werden.<ref>MPIE, 24-4-01-4, Aufbereitungsergebnisse mit fahlerzhaltigem Spateisenstein der Grube Marienhütte (Slowakei), 14.05.1940.</ref>
Ein Teil der KWIE-Forschungen zielte außerdem auf die Nutzbarmachung der Erze der Slowakei ab, die nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei ein Bündnispartner der [https://de.wikipedia.org/wiki/Achsenm%C3%A4chte faschistischen Achsenmächte] geworden war. Luyken unternahm mehrere Forschungsreisen in die Slowakei. Er besuchte verschiedene Gruben- und Hüttenwerke und nahm dort Proben.<ref>MPIE, 24-9-02-4, Aktennotiz über eine Studienreise in die Slowakei, 09.07.1942.</ref> Da Luyken sich in seinem Bericht über die jüdischen Vorbesitzer beider Gruben äußerte, handelte es sich wahrscheinlich um „arisierte“ Unternehmen. Unter anderem konnten fahlerzhaltige Spateisensteine der Grube Marienhütte aufbereitet werden.<ref>MPIE, 24-4-01-4, Aufbereitungsergebnisse mit fahlerzhaltigem Spateisenstein der Grube Marienhütte (Slowakei), 14.05.1940.</ref>
Darüber hinaus untersuchte die Erzabteilung des KWIE verschiedene Eisenerze, die aus den deutsch besetzten Teilen der Sowjetunion stammten. So hatte das Institut am 24. Februar 1943 Eisenquarzit aus den Gruben des ukrainischen Krywyj Rih durch die Berg- und Hüttenwerksgesellschaft Ost m.b.H. (BHO), Gruppe Erzbergbau Krivoj-Rog-Nikopol zur Durchführung von Anreicherungsversuchen erhalten.<ref>MPIE, 24-2-05-1, Über Versuche zur Anreicherung von Eisenquarziten von Krivoj-Rog.</ref> Die BHO war am 20. Februar 1941 durch einen Erlass [https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_G%C3%B6ring Görings] als Monopolgesellschaft im Besitz des Deutschen Reichs gegründet worden. Sie erhielt in allen von der Wehrmacht eroberten Gebieten der Sowjetunion das Monopol zum Betrieb unternehmerischer Tätigkeiten in der Kohlen- und Eisenwirtschaft. So wurden sämtliche in der Sowjetunion erbeuteten Montanbetriebe in den Besitz dieser reichseigenen Gesellschaft überführt.<ref>Riedel, Matthias: Bergbau und Eisenindustrie in der Ukraine unter deutscher Besatzung, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 11/3 (1973), S. 248-250.</ref>
Darüber hinaus untersuchte die Erzabteilung des KWIE verschiedene Eisenerze, die aus den deutsch besetzten Teilen der Sowjetunion stammten. So hatte das Institut am 24. Februar 1943 Eisenquarzit aus den Gruben des ukrainischen Krywyj Rih durch die Berg- und Hüttenwerksgesellschaft Ost m.b.H. (BHO), Gruppe Erzbergbau Krivoj-Rog-Nikopol zur Durchführung von Anreicherungsversuchen erhalten.<ref>MPIE, 24-2-05-1, Über Versuche zur Anreicherung von Eisenquarziten von Krivoj-Rog.</ref> Die BHO war am 20. Februar 1941 durch einen Erlass [https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_G%C3%B6ring Görings] als Monopolgesellschaft im Besitz des Deutschen Reichs gegründet worden. Sie erhielt in allen von der Wehrmacht eroberten Gebieten der Sowjetunion das Monopol zum Betrieb unternehmerischer Tätigkeiten in der Kohlen- und Eisenwirtschaft. So wurden sämtliche in der Sowjetunion erbeuteten Montanbetriebe in den Besitz dieser reichseigenen Gesellschaft überführt.<ref>Riedel: Bergbau und Eisenindustrie.</ref>


==Erze aus anderen besetzten Gebieten==
==Erze aus anderen besetzten Gebieten==
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Neben Luyken können auch für andere Wissenschaftler des KWIE Reisen in die eroberten und besetzten Gebiete rekonstruiert werden. [[Peter Bardenheuer|Peter Bardenheuer]] hielt sich ab 1941 mehrfach im besetzten Tschechien und weiterhin in Polen und Frankreich auf. Seinen Angaben zufolge handelte es sich jeweils um mehrtägige Aufenthalte, bei denen er verschiedene Werksbesichtigungen unternahm, etwa bei den Skoda-Werken in Pilsen oder Bessemer-Stahlwerken in Paris und Le Mans.<ref>LAV NRW, NW 1092-BG-08-30, Entnazifizierungsakte Peter Bardenheuer, Reisen außerhalb Deutschlands (Anlage zum Fragebogen des Military Government of Germany, 20.02.1947).</ref>  
Neben Luyken können auch für andere Wissenschaftler des KWIE Reisen in die eroberten und besetzten Gebiete rekonstruiert werden. [[Peter Bardenheuer|Peter Bardenheuer]] hielt sich ab 1941 mehrfach im besetzten Tschechien und weiterhin in Polen und Frankreich auf. Seinen Angaben zufolge handelte es sich jeweils um mehrtägige Aufenthalte, bei denen er verschiedene Werksbesichtigungen unternahm, etwa bei den Skoda-Werken in Pilsen oder Bessemer-Stahlwerken in Paris und Le Mans.<ref>LAV NRW, NW 1092-BG-08-30, Entnazifizierungsakte Peter Bardenheuer, Reisen außerhalb Deutschlands (Anlage zum Fragebogen des Military Government of Germany, 20.02.1947).</ref>  
Auch [[Willy Oelsen|Willy Oelsen]] reiste im Auftrag des KWIE in besetzte Gebiete. Im Winter 1943/1944 hatte er für „etwa 3 Tage“ die Differdinger Stahlwerke in Luxemburg besucht, wo er an einer Besprechung über Thomasstahlerzeugung teilnahm. Ebenfalls im Winter 1943/1944 besuchte er für zwei Tage die Rombacher Hütte in Frankreich, wo er sich „mit Flick jun. über wiss. Fragen des Hochofenbetriebes“ besprach. Im Herbst 1944 reiste Oelsen zu den Eisenwerken in Prag und Königshof und erörterte dort Fragen der Verhüttung von Chwalletitzer Erz.<ref>NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Fragebogen des Military Government of Germany, 10.05.1947.</ref>  
Auch [[Willy Oelsen|Willy Oelsen]] reiste im Auftrag des KWIE in besetzte Gebiete. Im Winter 1943/1944 hatte er für „etwa 3 Tage“ die Differdinger Stahlwerke in Luxemburg besucht, wo er an einer Besprechung über Thomasstahlerzeugung teilnahm. Ebenfalls im Winter 1943/1944 besuchte er für zwei Tage die Rombacher Hütte in Frankreich, wo er sich „mit Flick jun. über wiss. Fragen des Hochofenbetriebes“ besprach. Im Herbst 1944 reiste Oelsen zu den Eisenwerken in Prag und Königshof und erörterte dort Fragen der Verhüttung von Chwalletitzer Erz.<ref>NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Fragebogen des Military Government of Germany, 10.05.1947.</ref>  
Diese Aufenthalte von KWIE-Wissenschaftlern in den besetzten Gebieten waren offenbar in erster Linie beratender Natur für die deutschen Unternehmen, die Expansionschancen in den eroberten Gebieten zu nutzen suchten und sich heimische Unternehmen der Schwer- und Stahlindustrie, darunter auch „jüdischen Besitz“, aneigneten. Die tschechischen Skoda-Werke etwa waren nach der Besetzung der Tschechoslowakei und der Einverleibung Tschechiens in das Protektorat Böhmen und Mähren „arisiert“ worden. Die Aktienmehrheit wurde zunächst von den Vereinigten Stahlwerken und der Dresdner Bank übernommen und später an die Reichswerke Hermann Göring verkauft.<ref>Zu Skoda: Hachmeister, Lutz: Schleyer: eine deutsche Geschichte, München 2004, S. 195-197.; Wixforth, Harald/Ziegler, Dieter: Die Expansion der Reichswerke ‚Hermann Göring‘ in Europa, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2/2008, S. 257-278, hier S. 268-271.</ref> Auch die Rombacher Hütte in Lothringen, die Willy Oelsen besucht hatte, fällt in diese Kategorie. Sie hatte der Flick-Konzern 1941 nach der Eroberung Frankreichs im Rahmen einer Treuhänderschaft übernommen.<ref>Vgl. Bähr, Johannes: Die geglückte Expansion im Westen: Der Fall Rombach, in: Bähr, Johannes/Drecroll, Axel/Gotto, Bernhard/Priemel, Kim C./Wixforth, Harald: Der Flick-Konzern im Dritten Reich, München 2008, S. 439-470.</ref>
Diese Aufenthalte von KWIE-Wissenschaftlern in den besetzten Gebieten waren offenbar in erster Linie beratender Natur für die deutschen Unternehmen, die Expansionschancen in den eroberten Gebieten zu nutzen suchten und sich heimische Unternehmen der Schwer- und Stahlindustrie, darunter auch „jüdischen Besitz“, aneigneten. Die tschechischen Skoda-Werke etwa waren nach der Besetzung der Tschechoslowakei und der Einverleibung Tschechiens in das Protektorat Böhmen und Mähren „arisiert“ worden. Die Aktienmehrheit wurde zunächst von den Vereinigten Stahlwerken und der Dresdner Bank übernommen und später an die Reichswerke Hermann Göring verkauft.<ref>Vgl. Hachmeister: Schleyer, S. 195-197; Wixforth/Ziegler: Reichswerke ‚Hermann Göring‘, S. 268-271.</ref> Auch die Rombacher Hütte in Lothringen, die Willy Oelsen besucht hatte, fällt in diese Kategorie. Sie hatte der Flick-Konzern 1941 nach der Eroberung Frankreichs im Rahmen einer Treuhänderschaft übernommen.<ref>Vgl. Bähr: Expansion im Westen.</ref>


==Einzelnachweise==
==Einzelnachweise==

Version vom 2. Juni 2020, 08:25 Uhr

Die Großversuchsanlage Praschkau

Während des Kriegs führte das KWIE Forschungen im Kontext der deutschen Besatzung verschiedener Länder Europas durch. Insbesondere die Forschungstätigkeit der Erzabteilung stand im direkten Zusammenhang mit der deutschen Besatzung sowohl in Ost- als auch in Westeuropa. In diesem Kontext arbeitete das KWIE mit Institutionen des Besatzungsapparats zusammen. Zentrale Bedeutung für das KWIE erlangte etwa eine Großversuchsanlage, die von den Vereinigten Oberschlesischen Hüttenwerken im polnischen Praschkau errichtet worden war. Praschkau lag in dem Teil Polens, der nach der Besetzung als „Reichsgau Wartheland“ dem Deutschen Reich eingegliedert worden war. Die Versuchsanlage, die Ende 1941 oder Anfang 1942 in Betrieb genommen wurde, wurde mit Unterstützung des Reichsamts für Wirtschaftsausbau errichtet. In ihr sollten vor allem Untersuchungen zur Anreicherung von Eisensandsteinen aus Oberschlesien und den angrenzenden polnischen Gebieten durchgeführt werden, wobei ein Verfahren zur magnetisierenden Röstung angewendet wurde, das vom KWIE ausgearbeitet worden war. Wissenschaftler des KWIE, namentlich Walter Luyken und Helmut Kirchberg von der Erzabteilung, führten persönlich verschiedene Untersuchungen in Praschkau durch.[1] Die Rolle der Erzabteilung wird auch in einem Vortrag deutlich, den Luyken im April 1941 über die „großdeutschen Bodenschätze unter besonderer Berücksichtigung von Kohle und Erz“ hielt.[2]

Erzforschungen in der Slowakei und der Ukraine

Ein Teil der KWIE-Forschungen zielte außerdem auf die Nutzbarmachung der Erze der Slowakei ab, die nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei ein Bündnispartner der faschistischen Achsenmächte geworden war. Luyken unternahm mehrere Forschungsreisen in die Slowakei. Er besuchte verschiedene Gruben- und Hüttenwerke und nahm dort Proben.[3] Da Luyken sich in seinem Bericht über die jüdischen Vorbesitzer beider Gruben äußerte, handelte es sich wahrscheinlich um „arisierte“ Unternehmen. Unter anderem konnten fahlerzhaltige Spateisensteine der Grube Marienhütte aufbereitet werden.[4] Darüber hinaus untersuchte die Erzabteilung des KWIE verschiedene Eisenerze, die aus den deutsch besetzten Teilen der Sowjetunion stammten. So hatte das Institut am 24. Februar 1943 Eisenquarzit aus den Gruben des ukrainischen Krywyj Rih durch die Berg- und Hüttenwerksgesellschaft Ost m.b.H. (BHO), Gruppe Erzbergbau Krivoj-Rog-Nikopol zur Durchführung von Anreicherungsversuchen erhalten.[5] Die BHO war am 20. Februar 1941 durch einen Erlass Görings als Monopolgesellschaft im Besitz des Deutschen Reichs gegründet worden. Sie erhielt in allen von der Wehrmacht eroberten Gebieten der Sowjetunion das Monopol zum Betrieb unternehmerischer Tätigkeiten in der Kohlen- und Eisenwirtschaft. So wurden sämtliche in der Sowjetunion erbeuteten Montanbetriebe in den Besitz dieser reichseigenen Gesellschaft überführt.[6]

Erze aus anderen besetzten Gebieten

Das KWIE untersuchte auch Erze aus anderen besetzten Gebieten – auch in Westeuropa. Von April bis Mai 1943 führte die Erzabteilung des KWIE in der Praschkauer Anlage Röst- und Anreicherungsversuche mit zwei sauren lothringischen Minette-Erzen durch, die aus den Gruben Arsweiler und Lothringen stammten. Dies geschah im Auftrag des Generalbeauftragten für die Eisenerzgewinnung und -Verteilung in den Gebieten Luxemburg, Lothringen und Meurthe et Moselle, Metz.[7] Aus einem Bericht über den Aufbau des KWIE geht außerdem hervor, dass sich die Erzabteilung im Jahr 1944 etwa der Gewinnung von Mangan aus manganhaltigen Erzen des Protektorats Böhmen und Mähren durch Laugen widmete.[8]

Beteiligte Wissenschaftler

Neben Luyken können auch für andere Wissenschaftler des KWIE Reisen in die eroberten und besetzten Gebiete rekonstruiert werden. Peter Bardenheuer hielt sich ab 1941 mehrfach im besetzten Tschechien und weiterhin in Polen und Frankreich auf. Seinen Angaben zufolge handelte es sich jeweils um mehrtägige Aufenthalte, bei denen er verschiedene Werksbesichtigungen unternahm, etwa bei den Skoda-Werken in Pilsen oder Bessemer-Stahlwerken in Paris und Le Mans.[9] Auch Willy Oelsen reiste im Auftrag des KWIE in besetzte Gebiete. Im Winter 1943/1944 hatte er für „etwa 3 Tage“ die Differdinger Stahlwerke in Luxemburg besucht, wo er an einer Besprechung über Thomasstahlerzeugung teilnahm. Ebenfalls im Winter 1943/1944 besuchte er für zwei Tage die Rombacher Hütte in Frankreich, wo er sich „mit Flick jun. über wiss. Fragen des Hochofenbetriebes“ besprach. Im Herbst 1944 reiste Oelsen zu den Eisenwerken in Prag und Königshof und erörterte dort Fragen der Verhüttung von Chwalletitzer Erz.[10] Diese Aufenthalte von KWIE-Wissenschaftlern in den besetzten Gebieten waren offenbar in erster Linie beratender Natur für die deutschen Unternehmen, die Expansionschancen in den eroberten Gebieten zu nutzen suchten und sich heimische Unternehmen der Schwer- und Stahlindustrie, darunter auch „jüdischen Besitz“, aneigneten. Die tschechischen Skoda-Werke etwa waren nach der Besetzung der Tschechoslowakei und der Einverleibung Tschechiens in das Protektorat Böhmen und Mähren „arisiert“ worden. Die Aktienmehrheit wurde zunächst von den Vereinigten Stahlwerken und der Dresdner Bank übernommen und später an die Reichswerke Hermann Göring verkauft.[11] Auch die Rombacher Hütte in Lothringen, die Willy Oelsen besucht hatte, fällt in diese Kategorie. Sie hatte der Flick-Konzern 1941 nach der Eroberung Frankreichs im Rahmen einer Treuhänderschaft übernommen.[12]

Einzelnachweise

zum ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis

  1. MPIE 24-1-00-1, Versuchsanlage Praschkau, 12.09.1942; MPIE, 24-2-10-2, Schreiben von Luyken zur Versuchsanlage Praschkau, 12.06.1942.
  2. MPIE, 24-9-02-6, Die großdeutschen Bodenschätze unter besonderer Berücksichtigung von Kohle und Erz, Vortragsmanuskript, gehalten 30. April 1941.
  3. MPIE, 24-9-02-4, Aktennotiz über eine Studienreise in die Slowakei, 09.07.1942.
  4. MPIE, 24-4-01-4, Aufbereitungsergebnisse mit fahlerzhaltigem Spateisenstein der Grube Marienhütte (Slowakei), 14.05.1940.
  5. MPIE, 24-2-05-1, Über Versuche zur Anreicherung von Eisenquarziten von Krivoj-Rog.
  6. Riedel: Bergbau und Eisenindustrie.
  7. MPIE, 24-2-10-2, Bericht Luykens über Versuche mit lothringischen Minette-Erzen in der Versuchsanlage Praschkau, 06.01.1944.
  8. BArch (Berlin), R 26 III/342, Gliederung des Kaiser-Wilhelms-Instituts für Eisenforschung, Stand 31.12.1944.
  9. LAV NRW, NW 1092-BG-08-30, Entnazifizierungsakte Peter Bardenheuer, Reisen außerhalb Deutschlands (Anlage zum Fragebogen des Military Government of Germany, 20.02.1947).
  10. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Fragebogen des Military Government of Germany, 10.05.1947.
  11. Vgl. Hachmeister: Schleyer, S. 195-197; Wixforth/Ziegler: Reichswerke ‚Hermann Göring‘, S. 268-271.
  12. Vgl. Bähr: Expansion im Westen.