Zwangsarbeit im Deutschen Reich

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Während des Zweiten Weltkriegs mussten insgesamt fast 14 Millionen ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter Arbeit für das „Großdeutsche Reich“ verrichten. Unter den NS-Zwangsarbeitern lassen sich grundsätzlich drei unterschiedliche Gruppen ausmachen: zivile ausländische Zwangsarbeiter (sogenannte „Zivilarbeiter“), Kriegsgefangene und Häftlinge. Die dritte Gruppe stammte sowohl aus Konzentrations- und Vernichtungslagern als auch aus Gefängnissen und Arbeitslagern. Unter ihnen befanden sich auch deutsche Häftlinge. Von den eingesetzten Arbeitskräften waren rund 8,4 Millionen „Zivilarbeiter“, 4,6 Millionen Kriegsgefangene und 1,7 Millionen KZ-Häftlinge und sogenannte „Arbeitsjuden“.[1]

Der Einsatz von Zwangsarbeitern in der deutschen Kriegswirtschaft

Zu Beginn des Krieges hatten zivile ausländische Arbeitskräfte ihre Tätigkeit für deutsche Unternehmen teilweise noch freiwillig aufgenommen. Mit Fortschreiten des Kriegs überwog jedoch bald der Zwangscharakter, und es kam in den besetzten Gebieten zu gewaltsamen Aushebungsaktionen und Deportationen von Arbeitskräften ins Deutsche Reich.[2] Hintergrund des massenhaften Zwangsarbeitereinsatzes bildete im Wesentlichen der kriegsbedingt wachsende Arbeitskräftemangel in der deutschen Wirtschaft. Die Bedeutung der Zwangsarbeit führen folgende Zahlen vor Augen: Während zwischen 1939 und 1945 die Zahl der in der deutschen Wirtschaft Beschäftigten insgesamt mit rund 39 Mio. (1939) bzw. 36 Mio. (1944) relativ konstant blieb, sank der Anteil deutscher Arbeitnehmer hieran insgesamt um ca. 26 Prozent, in der Industrie um 30 Prozent. Der Anteil männlicher deutscher Arbeitskräfte sank sogar um 39 bzw. 42 Prozent.[3] 1944 betrug der Ausländeranteil (Kriegsgefangene und ausländische „Zivilarbeiter“) an den Gesamtbeschäftigten 26,5 Prozent, in der Landwirtschaft 46,4 Prozent und im Metallbereich 30 Prozent. Auch in weniger rüstungsrelevanten Branchen wie der Textil- und Bekleidungswirtschaft waren es immerhin noch 11,1 Prozent oder bei Handel und Banken 6 Prozent.[4]

Im KZ-Lagersystem hatte Zwangsarbeit von Beginn an eine Rolle gespielt. Seit dem Ende der 1930er-Jahre wurden Häftlinge in SS-eigenen Betrieben ausgebeutet und gezielt „vernichtet“. Zum massenhaften „Arbeitseinsatz“ der KZ-Häftlinge in der Wirtschaft kam es ab September 1942, als die SS bzw. das Wirtschafts-Verwaltungshauptamt der SS mit dem großangelegten Häftlingsverleih an die Rüstungsindustrie und andere Einsatzträger begannen.[5] Ab 1944 mussten auch alle Justizhäftlinge Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie leisten.[6]

Auch in wissenschaftlichen Einrichtungen, wie Universitäten, Hochschulen und anderen Forschungsinstituten wurden in den Jahren 1939 bis 1945 Zwangsarbeiter eingesetzt.[7]

Übergreifende Zahlen zu diesem Bereich liegen nicht vor. Festzuhalten ist, dass Zwangsarbeit dort eine weitaus geringere Rolle als in der Landwirtschaft und in der Industrie spielte.

Die Arbeits- und Lebensbedingungen von Zwangsarbeitern

Der Arbeits- und Lebensalltag der Zwangsarbeiter war durch niedrige oder sogar überhaupt keine Bezahlung, rassistische Diskriminierung sowie durch ein hohes Maß an Fremdbestimmung und Benachteiligung gegenüber deutschen Arbeitskräften geprägt. Zugleich ergaben sich gravierende Unterschiede in den Lebensbedingungen der verschiedenen Zwangsarbeitergruppen. Ihre rechtliche Stellung, Bezahlung, Unterbringung und sonstige Behandlung unterschieden sich je nach Zugehörigkeit zu einer bestimmten Zwangsarbeitergruppe und nach nationaler Herkunft – bzw. in nationalsozialistischen Kriterien nach „Rasse“ oder „Volkstumszugehörigkeit“ – erheblich. Diese Differenzierung wurde durch zahlreiche Behördenverordnungen festgelegt. Innerhalb der rassistischen Hierarchie des „Ausländereinsatzes“ waren Zivilgefangene und Kriegsgefangene aus Westeuropa deutlich bessergestellt als osteuropäische Zwangsarbeiter. Sowjetische und polnische Arbeitskräfte litten am stärksten unter Mangelversorgung, Diskriminierung, Misshandlung und Terror. Am rechtlosesten und den schlimmsten Arbeits- und Lebensbedingungen ausgesetzt waren sowjetische Kriegsgefangene und jüdische Häftlinge aus den Konzentrationslagern. Unter diesen Zwangsarbeitern waren die Überlebenschancen am geringsten und die Sterblichkeit besonders hoch.[8]

Einzelnachweise

zum ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis

  1. Spoerer: Zwangsarbeit, S. 90-115; Spoerer: Soziale Differenzierung, S. 485-488; Eichholtz: Zwangsarbeit, S. 10-18.
  2. Vgl. Spoerer: Zwangsarbeit, S. 10-20, S. 35-88.
  3. Eichholtz: Deutschen Kriegswirtschaft, S. 235-242.
  4. Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1999, S. 314, Tab. 41.
  5. Spoerer: Soziale Differenzierung, S. 509-515.
  6. Vgl. Spoerer: Zwangsarbeit, S. 107-115.
  7. Vgl. Universität Jena: Traditionen – Brüche – Wandlungen; Wiglusch/Schittenhelm: Universität Tübingen; Graefe: Arbeitskraft, Patient, Objekt.
  8. Spoerer: Soziale Differenzierung, S. 494-515.