Leumundszeugnisse und Entlastungsargumente: Unterschied zwischen den Versionen

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Sogar als systemkritisch wurde Oelsen dargestellt. Er gab an, 1933 zwar zunächst in die Marine-SA eingetreten zu sein, dies aber später bereut und sich zurückgezogen zu haben.<ref>NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und Abänderung der Kategorisierung, 25.06.1948.</ref> Tatsächlich existiert ein Schreiben Körbers zur Vorlage bei der Marine-SA vom Juni 1935, in dem er Oelsen bescheinigte, mit [[Die Einbindung des KWIE in die NS-Rüstungs- und Autarkieforschung|wissenschaftlichen Untersuchungen]] beschäftigt zu sein, „die für die Frage der Rohstoffversorgung Deutschlands von großer Bedeutung sind. Bei der Dringlichkeit dieser Aufgaben muß Herr Oelsen diesen Forschungen seine volle Arbeitskraft widmen. Wegen der Auswertung seiner Versuchsergebnisse ist er auch während der Abendstunden sehr stark in Anspruch genommen.“<ref>MPIE, ohne Signatur, Personalakte Professor Oelsen, alte Akte, Bescheinigung Körbers für Oelsen, 19.06.1935.</ref> Damit sollte begründet werden, dass Oelsen nicht zu Abendterminen der SA erscheinen konnte.
Sogar als systemkritisch wurde Oelsen dargestellt. Er gab an, 1933 zwar zunächst in die Marine-SA eingetreten zu sein, dies aber später bereut und sich zurückgezogen zu haben.<ref>NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und Abänderung der Kategorisierung, 25.06.1948.</ref> Tatsächlich existiert ein Schreiben Körbers zur Vorlage bei der Marine-SA vom Juni 1935, in dem er Oelsen bescheinigte, mit [[Die Einbindung des KWIE in die NS-Rüstungs- und Autarkieforschung|wissenschaftlichen Untersuchungen]] beschäftigt zu sein, „die für die Frage der Rohstoffversorgung Deutschlands von großer Bedeutung sind. Bei der Dringlichkeit dieser Aufgaben muß Herr Oelsen diesen Forschungen seine volle Arbeitskraft widmen. Wegen der Auswertung seiner Versuchsergebnisse ist er auch während der Abendstunden sehr stark in Anspruch genommen.“<ref>MPIE, ohne Signatur, Personalakte Professor Oelsen, alte Akte, Bescheinigung Körbers für Oelsen, 19.06.1935.</ref> Damit sollte begründet werden, dass Oelsen nicht zu Abendterminen der SA erscheinen konnte.


Darüber hinaus führte Oelsen zur Entlastung an, dass er seit seinem Studium in Göttingen enge Beziehungen zu „jüdischen und antifaschistischen Kollegen“ gehabt hätte.<ref>NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und Abänderung der Kategorisierung, 25.06.1948.</ref> In der Tat enthält die Entnazifizierungsakte Oelsens verschiedene Leumundszeugnisse von Personen, die dem Spektrum rassisch Verfolgter und politischer NS-Kritiker zuzuordnen waren. Ein Beispiel hierfür ist eine Bescheinigung des Ingenieurs Walter Mannchen. Der gab an, Oelsen seit 1930 gekannt und auch später in „dauernder Fühlungnahme“ mit ihm gestanden zu haben. Weiter führte Mannchen aus: „Obgleich Herr Oelsen wusste, dass der Unterzeichnete politisch verfemt war auf Grund seiner nach dem Umsturz 1933 eingegangenen Ehe mit einer Nichtarierin und unter dauernder Bewachung der Gestapo stand hat er seiner inneren Einstellung gemäss immer zu mir gehalten. Dies kam vor allem in den Jahren 1941 und 1942 zum Ausdruck als die Angehörigen meiner Frau von Düsseldorf aus in die Konzentrationslager Minsk/Russland bzw. Theresienstadt bzw. Auschwitz verbracht wurden. Ich kann aus vorhergegangenen Gesprächen ebenfalls versichern, dass Herr Oelsen gegen seine innere Überzeugung und nur unter dem Druck der Verhältnisse in die S.A. eingetreten ist.“<ref>NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Bescheinigung, 26.06.1946.</ref>
Darüber hinaus führte Oelsen zur Entlastung an, dass er seit seinem Studium in Göttingen enge Beziehungen zu „jüdischen und antifaschistischen Kollegen“ gehabt hätte.<ref>NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und Abänderung der Kategorisierung, 25.06.1948.</ref> In der Tat enthält die Entnazifizierungsakte Oelsens verschiedene Leumundszeugnisse von Personen, die dem Spektrum rassisch Verfolgter und politischer NS-Kritiker zuzuordnen waren. Ein Beispiel hierfür ist eine Bescheinigung des Ingenieurs Walter Mannchen. Dieser gab an, Oelsen seit 1930 gekannt und auch später in „dauernder Fühlungnahme“ mit ihm gestanden zu haben. Weiter führte Mannchen aus: „Obgleich Herr Oelsen wusste, dass der Unterzeichnete politisch verfemt war auf Grund seiner nach dem Umsturz 1933 eingegangenen Ehe mit einer Nichtarierin und unter dauernder Bewachung der Gestapo stand hat er seiner inneren Einstellung gemäss immer zu mir gehalten. Dies kam vor allem in den Jahren 1941 und 1942 zum Ausdruck als die Angehörigen meiner Frau von Düsseldorf aus in die Konzentrationslager Minsk/Russland bzw. Theresienstadt bzw. Auschwitz verbracht wurden. Ich kann aus vorhergegangenen Gesprächen ebenfalls versichern, dass Herr Oelsen gegen seine innere Überzeugung und nur unter dem Druck der Verhältnisse in die S.A. eingetreten ist.“<ref>NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Bescheinigung, 26.06.1946.</ref>


Die Angaben Mannchens über seine Frau entsprechen den Tatsachen. Solche Zeugnisse klangen glaubhaft und hatten eine größere Überzeugungskraft als etwa „Persilscheine“ früherer NSDAP-Mitglieder.<ref>Vgl. Gruffudd: Haven from Hitler.</ref> So ergibt sich ein sehr widersprüchliches Bild von Oelsens Rolle. Innerhalb des KWIE und der wissenschaftlichen Welt passte er sich vor allem aus Karrieregründen an. Ein überzeugter Nationalsozialist oder ein politischer Aktivist war er höchstwahrscheinlich nicht. Das Maß der Anpassung und Verstrickung war in verschiedenen Bereichen offenbar unterschiedlich. In privateren Bereichen zeigte er sich als Kritiker des Nationalsozialismus. Zugleich unterhielt er nach 1945 enge Verbindungen zum nationalsozialistisch gesinnten Wever.
Die Angaben Mannchens über seine Frau entsprechen den Tatsachen. Solche Zeugnisse klangen glaubhaft und hatten eine größere Überzeugungskraft als etwa „Persilscheine“ früherer NSDAP-Mitglieder.<ref>Vgl. Gruffudd: Haven from Hitler.</ref> So ergibt sich ein sehr widersprüchliches Bild von Oelsens Rolle. Innerhalb des KWIE und der wissenschaftlichen Welt passte er sich vor allem aus Karrieregründen an. Ein überzeugter Nationalsozialist oder ein politischer Aktivist war er höchstwahrscheinlich nicht. Das Maß der Anpassung und Verstrickung war in verschiedenen Bereichen offenbar unterschiedlich. In privateren Bereichen zeigte er sich als Kritiker des Nationalsozialismus. Zugleich unterhielt er nach 1945 enge Verbindungen zum nationalsozialistisch gesinnten Wever.

Version vom 18. Januar 2021, 21:21 Uhr

Viele Leumungszeugnisse, wie dieses von Gerhard Trömel für den stellvertretenden Institutsdirektor Anton Pomp verfassten, beinhalteten häufig Formulierungen wie „ruhig denkende[r] objektive[r] Wissenschaftler“ und, dass die Mitgliedschaft in der NSDAP „rein nomineller Natur“ gewesen sei. Oft wurde auch betont, dass den Charakterisierten „jeder nationalsozialistische Aktivismus fernlag“ und sie Nichtmitglieder der NSDAP in keiner Weise benachteiligt hätten. Gelegentlich wurde auch angegeben, dass diese hinter vorgehaltener Hand das Regime und dessen Kriegspolitik kritisiert hätten.
Max Hempel brachte gleich eine ganze Reihe von Leumundszeugnissen bei. ...
... In einem davon schreibt Rolf Sander an den Field Security Service, dass sich sieben „politisch unbelastete Kollegen“ am KWIE „sofort bereit erklärt“ hätten, „entlastenden Angaben über Herrn Dr. Hempel“ zu machen.

Leumunds- und Entlastungszeugnisse

Mithilfe von Leumunds- und Entlastungszeugnissen von Kollegen, Bekannten, Geistlichen usw. (sogenannte „Persilscheine“), für deren Beschaffung verschiedene Netzwerke mobilisiert wurden, konnten sich auch frühere NS-Aktivisten in Zuge der Entnazifizierungsverfahren reinwaschen oder zumindest ihre politische Verstrickung deutlich relativieren. So entstand eine sogenannte „Persilscheinkultur“ oder „Persilscheinmaschinerie“, in der sich ganze Gruppen gegenseitig wohlwollende Zeugnisse ausstellten. Dieser Mechanismus griff in der Nachkriegszeit – wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen – innerhalb der Wissenschaft, innerhalb der KWG und so auch am KWIE.[1]

Peter Göbbels

Ein Beispiel hierfür ist der Verlauf der Entnazifizierung von Peter Göbbels, der nach Kriegsende beim KWIE aufgrund seiner NS-Belastung im September 1945 entlassen und drei Monate unter Hausarrest gestellt worden war. Vor dem Entnazifizierungsausschuss des Kreises Zellerfeld versuchte Göbbels seine politische Belastung mit verschiedenen Argumenten zu relativieren, blieb hiermit aber zunächst erfolglos. Ihm wurde unter anderem die Bespitzelung der Institutsmitarbeiter zur Last gelegt.[2] Er führte u.a. seine nationalsozialistische Belastung auch darauf zurück, dass er sich als „einfacher Mann“ an seinen Vorgesetzten und der Institutsleitung orientiert habe. Auch beteuerte er, vom Nationalsozialismus abgerückt zu sein.[3]

Am 31. März 1947 empfahl der Entnazifizierungsausschuss des Kreises Zellerfeld erneut seine Entlassung aufgrund seiner Mitgliedschaften und Ämter in der NSDAP und SA, seiner propagandistischen und aktivistischen Betätigung als „Betriebsobmann“ in der DAF und verschiedener belastender Zeugenaussagen.[4] In einem Berufungsverfahren konnte Göbbels eine beachtliche Anzahl an Leumundszeugnissen vorlegen.[5] Insgesamt äußerten sich 22 Personen, darunter Familie, Freunde, Bekannte und Kollegen, zu seinen Gunsten.[6] Unter anderem wurde sein Charakter als gradlinig und höflich beschrieben; er sei ein „uneigennütziger Nationalsozialist“ gewesen, welcher nur auf das Wohl Deutschlands bedacht gewesen sei.[7]

Interessant ist, dass das KWIE-Betriebsratsmitglied Alfred Ahland, welcher Göbbels zuvor deutlich belastet hatte, sich im Berufungsverfahren nun für Göbbels aussprach und bestätigte, dieser habe sich nach seiner Entlassung ohne zu zögern dem Wiederaufbau Deutschlands verschrieben.[8] Der Entnazifizierungsausschuss stufte Göbbels daraufhin einstimmig am 23. September 1947 nur noch als „nominellen Nazi-Unterstützer“ ein und empfahl eine Beschäftigung. Er wurde als „Mitläufer“ in die Kategorie IV eingestuft und erhielt keine weitere Vermögens- und Berufsbeschränkung.[9]

Peter Clasen

Ein weiteres Beispiel dafür, dass die verschiedenen Leumundszeugnisse häufig der Entlastung selbst überzeugter Nationalsozialisten dienten, ist der Fall des Laboranten der Physikalischen Abteilung Peter Clasen. Er gehörte zu den wenigen Institutsmitarbeitern, die bereits vor der nationalsozialistischen „Machtübernahme“ 1933 der NSDAP oder der SA beigetreten waren, und war zwischen 1934 und 1939 DAF-„Betriebsobmann“.[10] Gegen Kriegsende geriet er in britische Kriegsgefangenschaft, die er zwischen dem 8. Mai und 24. Juli 1945 in England verbrachte.[11] Es ist nicht bekannt, wo sich Clasen seit seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im Juli 1945 aufgehalten oder wo er in der Zwischenzeit gearbeitet hatte. Nach eigenen Angaben wurde Clasen 1945 aufgrund seiner Parteizugehörigkeit beim KWIE entlassen.

Im Zuge der Entnazifizierung erhielt er dann unter anderem ein positives Leumundszeugnis des Betriebsrats. Der Betriebsrat bescheinigte Clasen darin, als „Betriebsobmann“ „eine durchaus loyale Haltung gezeigt“ zu haben. Weiterhin sei kein Fall bekannt, in dem er „irgendeinen politischen Druck ausgeübt“ habe. Im Gegenteil hätte Clasen sogar andersgesinnte Arbeitskollegen vor Anzeigen bei der Gestapo geschützt.[12] Dieses Leumundszeugnis erscheint als Beispiel für die generelle Fragwürdigkeit von Entlastungszeugnissen, auch jener, die seitens des mit Nicht-Parteimitgliedern besetzten Betriebsrats ausgestellt wurden. Die „Persilscheinmaschinerie“ funktionierte offenbar auf der Grundlage weitreichender nationaler, auch institutioneller Loyalitäten, die über die Grenzen der politischen Lager hinweg verliefen. Am 23. Juli 1949 wurde Clasen schließlich in die Kategorie IV („Mitläufer“) ohne Vermögenssperre eingestuft. In der Zusammenfassung seines Falls wurde vermerkt: „Auf Grund des guten Entlastungszeugnisses des Instituts für Eisenforschung wird der § 5 zugebilligt.“[13]

Entlastungsstrategien

In den Stellungnahmen und Entlastungsaussagen, die im Zuge der Entnazifizierung von KWG- und KWIE-Angehörigen zustande kamen, konstituierte sich ein „Rechtfertigungsdiskurs“, in dem spezifische wiederkehrende Argumentationsweisen auffällig waren. Dabei gab es etwa fünf Argumentationsstrategien oder „Schlüsselargumentationen“, die so oft wiederholt wurden, dass man in der Tat von „Gemeinplätzen oder Topoi sprechen“ kann.[14] Häufig wurde angeführt, der oder die Beklagte habe sich ausschließlich der Forschung gewidmet, wäre trotz seiner Parteimitgliedschaft kein Aktivist gewesen und sogar aus Pflichtgefühl oder Loyalität gegenüber der Wissenschaft in die NSDAP beigetreten. Es sei geradezu die Pflicht eines Wissenschaftlers gewesen, die Wissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus weiter zu erhalten und zu fördern, auch wenn man dafür Verbindungen zur politischen Ebene hätte knüpfen müssen.

In vielen Aussagen wurde das Bild einer neutralen Wissenschaft und des neutralen Wissenschaftlers gepflegt. Die Zugehörigkeit zur KWG wurde selbst als entlastendes Argument vorgebracht. Zudem ließen sich manche Wissenschaftler eine selbstlose Unterstützung bescheinigen, durch die sie beispielsweise oppositionelle Kollegen geschützt hätten. Auch war es ein gängiges Mittel, sich von Zeugen bestätigen zu lassen, die betroffene Person habe Widerstand im Sinne von systemkritischen Aussagen geleistet.[15] Solche Bewertungen wurden oftmals in Leumundszeugnissen aufgerufen, von den zuständigen deutschen Ausschüssen angeführt und von den Alliierten in ihren Bewertungen und abschließenden Entscheidungen übernommen.

Franz Wever

Auch im Falle Franz Wevers verfehlten diese Entlastungsstrategien ihre Wirkung nicht. So empfahl der für die Entnazifizierung zuständige Hauptausschuss in Düsseldorf im Februar 1947, Wever in seiner Stellung zu belassen. „Bei der vorliegenden Parteibelastung“ sei eigentlich „Entlassung aus dem Amte vorgeschrieben“, jedoch wurde mildernd Wevers Rolle als Wissenschaftler berücksichtigt: „Herr Wever ist Wissenschaftler. Seine ganze Einstellung ist aus diesem Gesichtspunkt heraus zu bewerten. Ein hervorstechender Charakterzug von ihm ist seine absolute Korrektheit. Durch seine Sachlichkeit und sein von jedem Überschwang freies Wesen erfreute er sich überall dort wo er tätig war, einer gewissen Beliebtheit.“[16] So möge es auch „gekommen sein, dass er, der verschiedene Ehrenposten innehatte, auch in der SA, obgleich er keinen Truppendienst tat, sondern dem Stabe zugeteilt war, befördert wurde und schließlich den Titel eines Stabsführers erhielt.“ Weiterhin wurde angemerkt: „Politisch ist Herr Wever unseres Wissens nicht hervorgetreten“, weshalb man „ihn, der in keiner sonstigen Organisation ein Amt innehatte, als nominelles Mitglied bezeichnen“ könne. Die zuständigen Stellen der Militärregierung übernahmen diese Argumentation.[17]

Diese Bewertung basierte auf einer Einschätzung der untergeordneten Entnazifizierungs-Kommission Verwaltungsamt für Stahl und Eisen. Dass die genannte Kommission neutral über die politische Belastung Wevers geurteilt hatte, kann schon deshalb angezweifelt werden, weil das zuständige Verwaltungsamt für Stahl und Eisen 1946 vom VDEh abgetrennt worden war und daher eng mit dem VDEh assoziiert war.

Gerade bei Wever kann aus heutiger Sicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei ihm um mehr als nur ein nominelles Parteimitglied gehandelt hatte. Außerdem trug er in seiner Funktion an der Spitze eines kriegs- bzw. rüstungswichtigen Instituts zur Kriegsverlängerung bei. Es erstaunt aus heutiger Sicht, dass gerade Wever als neutraler Wissenschaftler dargestellt und dieses Bild von den Alliierten akzeptiert wurde.

Anton Pomp

Ein ähnliches Bild wurde im Entnazifizierungsverfahren Anton Pomps gezeichnet. Pomp wurde in den Entlastungsaussagen sogar als Regimegegner, Kriegsgegner und Gegner der Judenverfolgung dargestellt. Für sein Entnazifizierungsverfahren, das 1946 vor dem deutschen Entnazifizierungsausschuss des Kreises Zellerfeld verhandelt wurde, hatte Pomp acht Leumundszeugnisse eingereicht. Im Wesentlichen enthalten diese die Aussage, dass sich Pomp weder aktivistisch noch propagandistisch im Sinne des Nationalsozialismus betätigt habe und dementsprechend nur ein „rein nominelles“ Mitglied gewesen sei.[18] Die Leumundszeugnisse wurden am 23. März 1946 abgegeben sowie der zuständigen Special Branch der Militärregierung in Aachen von Rektor der RWTH Aachen im Februar 1946 vorgelegt, um eine Genehmigung für Pomps vorgesehene Berufung als Ordinarius der Fakultät für Bergbau und Hüttenwesen zur Technischen Hochschule zu erwirken. Der Unterausschuss zur Entnazifizierung der RWTH Aachen genehmigte daraufhin die Beschäftigung als Ordinarius einstimmig.

Wilhelm Dönges, der eines der Leumundszeugnisse verfasst hatte, führte darin an, dass Pomp vor 1933 völlig unpolitisch gewesen und seine Anmeldung in die NSDAP „ohne sein Wissen durch seinen 13-jährigen Jungen“ erfolgt sei. Laut Dönges habe Pomp den Maßnahmen der NSDAP stets abwartend und ablehnend gegenübergestanden und „deshalb auch nur bei ganz besonderen Anlässen das Parteiabzeichen getragen“. Dönges kommt zu dem Schluss: „Seit Ausbruch des Krieges 1939 verstärkte sich seine Ablehnung gegenüber Partei- und Regierungsmaßnahmen, weil er grundsätzlich Gegner des Krieges war und dessen Ausgang vorausgesehen hat. Er verurteilte die Hitler’sche Expansionspolitik und war, wie 80 % aller Deutschen, Gegner der Judenverfolgung.“ Wilhelm Dönges war selbst seit dem 1. April 1933 NSDAP-Mitglied gewesen.[19]

Bei der Beurteilung Pomps als „Mitläufer“ sei sich der Entnazifizierungsausschuss bewusst gewesen, „dass es sich bei P. um eine internationale Grösse der technischen Wissenschaften handelt“. Von daher war man überzeugt, „dass P. als objektiver Wissenschaftler innerlich niemals der Ideologie der NSDAP zugestimmt hat. Er war politisch zu indifferent, um unter der NSDAP irgendwie in Erscheinung zu treten.“[20]

Willy Oelsen

Bei der Entnazifizierung des späteren Institutsleiters Willy Oelsen lag der Fokus dagegen auf anderen entlastenden Argumenten. Der Eintritt in die NSDAP und andere NS-Organisationen wurde von ihm und in Leumundszeugen wiederholt als Resultat äußeren Drucks bzw. Zwangs dargestellt. Sein Eintritt in die NSDAP zum 1. Mai 1937 sei auf Druck seiner Vorgesetzten zurückzuführen. Er kam zu dem Schluss: „Die Mitgliedschaft zur NSDAP dürfte somit wohl als eine Zwangsmitgliedschaft aufzufassen sein.“[21]

Sogar als systemkritisch wurde Oelsen dargestellt. Er gab an, 1933 zwar zunächst in die Marine-SA eingetreten zu sein, dies aber später bereut und sich zurückgezogen zu haben.[22] Tatsächlich existiert ein Schreiben Körbers zur Vorlage bei der Marine-SA vom Juni 1935, in dem er Oelsen bescheinigte, mit wissenschaftlichen Untersuchungen beschäftigt zu sein, „die für die Frage der Rohstoffversorgung Deutschlands von großer Bedeutung sind. Bei der Dringlichkeit dieser Aufgaben muß Herr Oelsen diesen Forschungen seine volle Arbeitskraft widmen. Wegen der Auswertung seiner Versuchsergebnisse ist er auch während der Abendstunden sehr stark in Anspruch genommen.“[23] Damit sollte begründet werden, dass Oelsen nicht zu Abendterminen der SA erscheinen konnte.

Darüber hinaus führte Oelsen zur Entlastung an, dass er seit seinem Studium in Göttingen enge Beziehungen zu „jüdischen und antifaschistischen Kollegen“ gehabt hätte.[24] In der Tat enthält die Entnazifizierungsakte Oelsens verschiedene Leumundszeugnisse von Personen, die dem Spektrum rassisch Verfolgter und politischer NS-Kritiker zuzuordnen waren. Ein Beispiel hierfür ist eine Bescheinigung des Ingenieurs Walter Mannchen. Dieser gab an, Oelsen seit 1930 gekannt und auch später in „dauernder Fühlungnahme“ mit ihm gestanden zu haben. Weiter führte Mannchen aus: „Obgleich Herr Oelsen wusste, dass der Unterzeichnete politisch verfemt war auf Grund seiner nach dem Umsturz 1933 eingegangenen Ehe mit einer Nichtarierin und unter dauernder Bewachung der Gestapo stand hat er seiner inneren Einstellung gemäss immer zu mir gehalten. Dies kam vor allem in den Jahren 1941 und 1942 zum Ausdruck als die Angehörigen meiner Frau von Düsseldorf aus in die Konzentrationslager Minsk/Russland bzw. Theresienstadt bzw. Auschwitz verbracht wurden. Ich kann aus vorhergegangenen Gesprächen ebenfalls versichern, dass Herr Oelsen gegen seine innere Überzeugung und nur unter dem Druck der Verhältnisse in die S.A. eingetreten ist.“[25]

Die Angaben Mannchens über seine Frau entsprechen den Tatsachen. Solche Zeugnisse klangen glaubhaft und hatten eine größere Überzeugungskraft als etwa „Persilscheine“ früherer NSDAP-Mitglieder.[26] So ergibt sich ein sehr widersprüchliches Bild von Oelsens Rolle. Innerhalb des KWIE und der wissenschaftlichen Welt passte er sich vor allem aus Karrieregründen an. Ein überzeugter Nationalsozialist oder ein politischer Aktivist war er höchstwahrscheinlich nicht. Das Maß der Anpassung und Verstrickung war in verschiedenen Bereichen offenbar unterschiedlich. In privateren Bereichen zeigte er sich als Kritiker des Nationalsozialismus. Zugleich unterhielt er nach 1945 enge Verbindungen zum nationalsozialistisch gesinnten Wever.

Bildergalerie

Ein Beispiel dafür, wie KWIE-Mitarbeiter „Persilscheine“ einsetzten, ist Heinrich Ploum, dessen Anwalt insgesamt neun Leumundszeugnisse vorlegte.[27]

Einzelnachweise

zum ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis

  1. Vgl. Sachse: Persilscheinkultur; Ash: Ressourcenaustausche, S. 323; Beyler: Reine Wissenschaft, S. 26; Hachtmann: Wissenschaftsmanagement Bd. 2, S. 1103-1121.
  2. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 67024, Entnazifizierungsakte Peter Göbbels, Schriftliche Stellungnahme Peter Göbbels, 15.07.1946; NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 66974, Entnazifizierungsakte Max Hempel, Protokoll der politischen Begutachtung im Kaiser-Wilhelm-Institut für Eisenforschung, 22.09.1945.
  3. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 67024, Entnazifizierungsakte Peter Göbbels, Erklärung von Peter Göbbels, 10.03.1947.
  4. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 67024, Entnazifizierungsakte Peter Göbbels, Stellungnahme Entnazifizierungsausschuss Kreis Zellerfeld, 31.03.1947.
  5. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 67024, Entnazifizierungsakte Peter Göbbels, Berufungsschreiben von Alfred König an den Kreisentnazifizierungsausschuss Zellerfeld, 17.07.1947.
  6. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 67024, Schreiben des Entnazifizierungshauptausschusses Clausthal-Zellerfeld an Alfred König, 28.07.1947, Berufungsschreiben von Alfred König an den Kreisentnazifizierungsausschuss Zellerfeld, 17.07.1947.
  7. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 67024, Entnazifizierungsakte Peter Göbbels, Bescheinigung Gudrun Schmidt, 12.07.1947, Bescheinigung des Kaiser-Wilhelm-Institut, 21.07.1947, Unterlagen von Alfred König an den Kreisentnazifizierungsausschuss Zellerfeld, 05.09.1947,
  8. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 67024, Entnazifizierungsakte Peter Göbbels, Leumundszeugnis Alfred Ahland, 15.07.1947.
  9. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 67024, Entnazifizierungsakte Peter Göbbels, Stellungnahme Entnazifizierungshauptausschuss Clausthal-Zellerfeld, 23.09.1947, Einreihungsbescheid, 23.03.1948.
  10. LAV NRW, NW 1002-I-73702, Entnazifizierungsakte Peter Clasen, Fragebogen des Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung im Lande Nordrhein-Westfalen, 10.07.1949.
  11. BArch (Militärarchiv Freiburg), PERS6/45035, Militärakte Peter Clasen, Formular mit Angaben zu seiner Person.
  12. LAV NRW, NW 1002-I-73702, Entnazifizierungsakte Peter Clasen, Leumundszeugnis des MPIE-Betriebsrats, 11.07.1949.
  13. LAV NRW, NW 1002-I-73702, Entnazifizierungsakte Peter Clasen, Case Summary, 23.07.1949, Einreihungsbescheid des Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung im Lande Nordrhein-Westfalen, 23.07.1949.
  14. Beyler: Reine Wissenschaft, S. 26.
  15. Beyler: Reine Wissenschaft, S. 27-45.
  16. LAV NRW, NW 1002-I-23403, Entnazifizierungsakte Franz Wever, Case Summary, 1947.
  17. LAV NRW, NW 1002-I-23403, Entnazifizierungsakte Franz Wever, Case Summary, 1947, Fragebogen Arbeitsblatt, 01.02.1947, Einreihungsbescheid, 28.10.1947.
  18. LAV NRW, NW 1079-9085, Entnazifizierungsakte Anton Pomp, Leumundszeugnis Eichingers, 15.02.1946, Leumundszeugnis Wilhelm Dönges, 18.02.1946.
  19. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 65696, Entnazifizierungsakte Anton Pomp, Stellungnahme des deutschen Entnazifizierungsausschusses, 13.08.1946.
  20. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 65696, Entnazifizierungsakte Anton Pomp, Stellungnahme des deutschen Entnazifizierungsausschusses, 13.08.1946; Siehe auch: Beyler: Reine Wissenschaft, S. 29.
  21. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und Abänderung der Kategorisierung, 25.06.1948.
  22. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und Abänderung der Kategorisierung, 25.06.1948.
  23. MPIE, ohne Signatur, Personalakte Professor Oelsen, alte Akte, Bescheinigung Körbers für Oelsen, 19.06.1935.
  24. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und Abänderung der Kategorisierung, 25.06.1948.
  25. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Bescheinigung, 26.06.1946.
  26. Vgl. Gruffudd: Haven from Hitler.
  27. LAV NRW, NW 1002-I-73957, Entnazifizierungsakte Heinrich Ploum, Schreiben Rechtsanwalt Fengler an das KWIE, 13.01.1946.