Die Bedeutung des KWIE für die „Wehrwirtschaft“

Aus Geschichts-Wiki MPIE
Version vom 4. Januar 2021, 19:38 Uhr von unknown user (Diskussion) (→‎Körbers Ausführungen zu theoretischen Forschungen)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Am 28. März 1934 schrieb Albert Vögler Reichsinnenminister Frick, dass der Neubau des KWIE „das erste große wissenschaftliche Institut“ sei, „das nach der Übernahme der Regierung Hitler gebaut“ werde. ...
.. Dies verband er mit dem Hinweis auf die Aufgaben des Instituts in der Rüstungsforschung.

Der Neubau des KWIE als Forschungsort für das „Dritte Reich“

Die Planung und Errichtung des Institutsneubaus ab 1933 ist ein deutlicher Beleg für die Ausrichtung des KWIE auf den NS-Staat und die Wiederaufrüstung. Nach der „NS-Machtübernahme“ rechneten die führenden Vertreter von VDEh und KWIE offenbar mit einem Aufschwung der Eisenforschung im Zuge der Wiederaufrüstung und setzten auch deshalb auf den Ausbau des Instituts. Die Chance schien gekommen, die Zeit der Provisorien hinter sich zu lassen.

Auch im Zusammenhang mit dem Neubau diente sich die Institutsführung dem NS-Staat an und betonte die Wichtigkeit des Instituts für das „Dritte Reich“. Hierbei standen die aktuellen und auch zukünftig durchzuführenden Forschungsarbeiten für das „Dritte Reich“ und die Rüstungs- und Autarkieforschung im Vordergrund. In einem Brief an Wilhelm Frick im Frühjahr 1934 erklärte Albert Vögler, der Vorsitzende des VDEh, der KWIE-Neubau wäre „das erste große wissenschaftliche Institut, das nach der Übernahme der Regierung Hitler gebaut“ worden wäre.[1] Vögler holte aus: „Das erste Eiseninstitut ist mitten im Kriege auf Grund einer Denkschrift, die ich als Vorsitzender veranlaßt habe, gegründet worden. Es waren die besonderen Aufgaben, die der Krieg an die Qualität der Eisenerzeugnisse stellte, die den Gedanken reifen ließen. Heute sind es ähnliche Aufgaben, die uns veranlaßten, mit dem Optimismus, der uns alle seit Januar 1933 erfüllt, trotz der schweren Krise, in der die Eisen- und Stahlindustrie immer noch liegt, an den Neubau heranzugehen. Die geldlichen Ausgaben werden von der ganzen deutschen Eisenindustrie als der alleinigen Trägerin des Instituts getragen.“ Er betonte, dass der Umfang der Forschung „in steter Zusammenarbeit mit dem Reichswehrministerium und der Reichsmarine und neuerdings sehr intensiv mit dem Reichsluftfahrtministerium“ immer weiter zugenommen habe.[2]

Betonung der Eisenforschung als Beitrag zur Aufrüstung

Die Wiederaufnahme der Baupläne dürfte zugleich eine Konsequenz der inzwischen verbesserten finanziellen Grundlagen der Stahlindustrie und des VDEh gewesen sein. Hintergrund bildete hier die beginnende wirtschaftliche Erholung der Stahlindustrie nach 1933, die ebenfalls im Zusammenhang mit der Wiederaufrüstung stand. In seiner Rede zur Grundsteinlegung wandte sich Vögler an die zahlreich vertretenen, „verehrten Herren von der Wehrmacht“. Vögler stellte seine Rede unter den Wahlspruch: „Guter Stahl heißt gute Wehr!“. Zur Veranschaulichung bediente er sich eines mythologisch-germanischen Beispiels: „Ich weiss nicht, ob in Ihrem kriegsgeschichtlichen Unterricht auch jener Schlag in Steiermark Erwähnung getan wird, von der die Geschichte erzählt. […] Die Steiermärker hatten einen heftigen Kampf bestanden und Wotan rief ihnen zu aus Dank für ihr standhaftes Kämpfen:

«Wollt Ihr Gold auf hundert Jahr,
oder Eisen immerdar?
Da schlugen zusammen die Schwerter gut,
Noch rot geronnen von Feindes Blut
Und brausend rief die ganze Schar:
Eisen, Eisen immerdar»“[3]

Das Spannungsfeld zwischen Forschungsfreiheit und „Selbstmobilisierung“

Zugleich betonte Vögler allerdings auch die Notwendigkeit einer „freien Forschung“ gegenüber den anwesenden NS-Wissenschafts- und Bildungspolitikern.[4] Es gab hier – trotz aller seitens Vögler, des VDEh und des KWIE betonten Nähe zur NS-Rüstungspolitik – auch Einwände gegen eine allzu große Vereinnahmung und Ausrichtung der Eisenforschung auf rein praktische Anwendungen.

Der von Vögler herausgestellte Aspekt der „freien Forschung“ wurde dann von Reichswissenschaftsminister Rust bei einer Tischrede während des Mittagessens aufgegriffen. Rust betonte, dass „der Nationalsozialismus nicht wissenschaftsfeindlich, sondern theorienfeindlich“ sei. Rust „sagte der seiner Obhut anvertrauten Wissenschaft für ihre Arbeit Schutz und Freiheit zu, um alle Kräfte zum Wohle der Gesamtheit zur Auswirkung zu bringen.“[5] Die Aussagen von Vögler und Rust sind insofern interessant, als daran gewisse Spannungsfelder zwischen VDEh und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) einerseits und den Nationalsozialisten andererseits auf dem Gebiet der Wissenschaftspolitik deutlich werden. Während die Ausrichtung der technischen Forschung auf die NS-Kriegswirtschaft keineswegs in Frage gestellt wurde, wollte man sich doch eine institutionelle und fachliche Unabhängigkeit erhalten.

„Wiederwehrhaftmachung“ als Thema bei der Einweihungsfeier

Die geplante Einbindung des KWIE in die „Wiederwehrhaftmachung“ Deutschlands wurde dann wieder im Rahmen der Einweihungsfeier im November 1935 betont, bei der unter anderem Generalmajor Emil Leeb vom Heereswaffenamt anwesend war. Hier wurde aus einem der Elektroöfen des Instituts eine Glocke gegossen. In einem zeitgenössischen Bericht aus der Zeitschrift Stahl und Eisen hieß es dazu: „In dem Sprühen und Glühen der gefesselten Elemente erstand vor den Beschauern wie eine leuchtende Vision der Spruch, den die Glocke tragen wird: Eiserne Arbeit, stählerne Wehr – Sich’re uns Freiheit, Friede und Ehr’!“[6] Die „stählerne Wehr“ gehörte zu den wichtigen Aufgaben des Instituts.

Im Januar 1936 veröffentlichte Direktor Körber einen Artikel zu „Aufbau und Aufgaben des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Eisenforschung“, der sowohl in den Düsseldorfer Nachrichten als auch in der Kunst- und Heimatzeitschrift Meine Heimat abgedruckt wurde.[7] Der Artikel behandelte in erster Linie bauliche und technische Gegebenheiten des neuen Institutsgebäudes und war weitestgehend in einem neutralen Stil verfasst, der politische Fragen wenig berührte. In ihm wird aber die Positionierung des Instituts unter anderem in wissenschaftspolitischen Fragen deutlich. Körber bediente sich eines nationalen, aber überwiegend nicht explizit nationalsozialistischen Vokabulars. Der Text enthielt eine längere Passage zum Wissenschaftsverständnis, der in unterschiedlicher Hinsicht interessant ist und Referenzen auf NS-Gedankengut enthält, und betonte die Ausrichtung des KWIE auf den „Dienst an der Gemeinschaft zum Nutzen der gesamten deutschen Eisenindustrie, um ihr Rüstzeug zu bessern und zu mehren im schweren Kampfe mit dem vielfach unter weit günstigeren Bedingungen arbeitenden ausländischen Wettbewerb“[8]

Institutsdirektor Friedrich Körber berücksichtigte die von der NS-Bewegung und den NS-Wissenschaftsinstanzen geforderte Ausrichtung der Eisenforschung auf nationale Aufgaben und praktische Forschung, betonte aber zugleich die Notwendigkeit einer theoretisch und langfristig ausgerichteten Forschung. Er erklärte, dass das KWIE neben der angewandten Forschung „mit der Aussicht auf unmittelbarste technische Nutzbarmachung ihrer Ergebnisse“ und dem Ziel, „mit allen seinen Kräften und Hilfsmitteln dem praktischen Hüttenmann bei der Lösung seiner oft so schwierigen Aufgaben als Helfer und Berater zu Seite zu stehen […], die rein wissenschaftliche Forschung mit dem Ziel einer lückenlosen Erkenntnis der Grundlagen und letzten Zusammenhänge, losgelöst von der Frage der praktischen Nutzbarmachung, nicht vernachlässigen“ dürfe. Eine solche schaffe „erst die gesicherte Grundlage für weiteren technischen Fortschritt, mag dieser Erfolg auch zuweilen erst nach Jahren eintreten und unter Umständen gar nicht als Ausfluss jener wissenschaftlichen Forschung kenntlich sein.“[9]

Körbers Ausführungen zu theoretischen Forschungen

Weiter schrieb Körber: „Müßig wäre es, in einem vergleichenden Werturteil die Wichtigkeit und Notwendigkeit der beiden Arbeitsrichtungen gegeneinander abzuwägen, mögen auch gerade in der heutigen Zeit technische, wirtschaftliche und auch nationale Gesichtspunkte jene angewandte Forschung von größerer Dringlichkeit erscheinen lassen: die theoretische Forschung arbeitet dagegen nicht so sehr für heute und morgen, sondern auf eine weite Sicht.“[10] Körber wählte diese Formulierungen möglicherweise auch unter dem Eindruck zeitgenössischer Diskussionen um die konkrete Ausrichtung der Metallforschung auf „nationalpolitische“ Ziele, in welche unter anderem das mit dem KWIE zusammenarbeitende Kaiser-Wilhelm-Institut für Metallforschung unter dem dortigen Institutsleiter Köster involviert war.[11]

In der Erinnerungskultur nach 1945 und in der historischen Forschung wurde die Rolle und Bedeutung der Wissenschaften im Nationalsozialismus, auch der in der KWG und an den Technischen Hochschulen betriebenen technisch-naturwissenschaftlichen Forschung, lange weitgehend ausklammert. Es dominierte ein Geschichtsbild, das den Nationalsozialismus als wissenschaftsfeindlich beschrieb. Die Wissenschaft und wissenschaftliche Institutionen hätten sich daher in der Defensive befunden und sich auf Grundlagenforschung zurückgezogen. Inzwischen wird das hohe Maß der Integration der Wissenschaften in das NS-Regime und die wissenschaftsfördernde Haltung der Nationalsozialisten, insbesondere im Zusammenhang mit Kriegs- und Rüstungsaufgaben, betont.[12] Da der Nationalsozialismus zwar antiintellektuell und antibürgerlich auftrat, aber durchaus nicht wissenschaftsfeindlich war – solange sich die Wissenschaftler eben nicht in politische Richtungsdiskussionen in der NS-Führung einmischten –, sind solche Haltungen auch als durchaus NS-konform zu werten.[13] Eine eindeutige Nähe zu NS-Gedankengut zeigt sich dagegen in Körbers Ausführungen über die „planmäßige theoretische Forschung“, die sich ihm zufolge „allerdings freihalten muß von jeder theoretisierenden Entartung“.[14]

Während Körber also eine grundsätzlich theoretisch ausgerichtete Forschung verteidigte, tat er dies unter Zuhilfenahme einer rassistisch-nationalsozialistischen Wissenschaftsdeutung. Er grenzte sich von einer „theoretisierenden Entartung“ ab und bezog sich deutlich auf eine antisemitische und nationalsozialistische Wissenschaftsauffassung, wie sie zeitgenössisch etwa in der sogenannten „Deutschen Physik“ vertreten wurde. Theoretische Modelle wie Einsteins Relativitätstheorie wurden von dieser als „abstrakt“ und „jüdisch“ abgelehnt. Eine vornehmliche experimentelle Wissenschaft wurde dagegen befürwortet.[15]

Einzelnachweise

zum ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis

  1. AMPG, Abt. I, Rep. 16, Nr. 4-1/1, Schreiben von Vögler an Reichsinnenminister Frick, 28.03.1934.
  2. AMPG, Abt. I, Rep. 16, Nr. 4-1/1, Schreiben von Vögler an Reichsinnenminister Frick, 28.03.1934.
  3. VDEh, Ac 201, Tischrede Albert Vöglers zur Grundsteinlegung, 03.06.1934.
  4. Neubau des KWIE (Stahl und Eisen 54), S. 655.
  5. Stahl und Eisen 55, S. 1497.
  6. Körber: Aufbau und Aufgaben des KWIE, S. 35-36.
  7. Körber: Aufbau und Aufgaben des KWIE, S. 36.
  8. Körber: Aufbau und Aufgaben des KWIE, S. 36.
  9. Körber: Aufbau und Aufgaben des KWIE, S. 36.
  10. Maier: Forschung als Waffe Bd. 1, S. 384-403.
  11. Vgl. Hachtmann: Wissenschaftsmanagement Bd. 1, S. 312-315.
  12. Schieder: Der militärisch-industriell-wissenschaftliche Komplex, S. 47-49.
  13. Körber: Aufbau und Aufgaben des KWIE, S. 36.
  14. Körber: Aufbau und Aufgaben des KWIE, S. 36.
  15. Hoffmann/Walker): Physiker zwischen Autonomie und Anpassung.