Der Fall Rosel Eckholt

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Im Rahmen der Entnazifizierungsverfahren wurden schwere Vorwürfe gegen einzelne KWIE-Mitarbeiter erhoben, die ein hohes Maß an Verstrickung mit der NS-Verfolgungspolitik und die Mitwirkung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit implizierten. Dabei ging es vor allem um die Verhaftung der KWIE-Mitarbeiterin Rosel Eckholt durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) im Februar 1945 – wenige Wochen vor Kriegsende. Institutsleitung und führende Institutsangehörige waren daran beteiligt. Insbesondere dem stellvertretenden DAF-Betriebsobmann Peter Göbbels wurde vorgeworfen, dass er die Belegschaft des KWIE in der NS-Zeit bespitzelt und Informationen an die Gestapo weitergegeben habe. Zwar konnten die Vorfälle im Nachhinein nicht abschließend aufgearbeitet werden und es gab keine Konsequenzen für die Beschuldigten, doch spiegeln deren Reaktionen auf die Vorwürfe wider, wie in der Nachkriegszeit in Deutschland oft mit der Schuldfrage umgegangen wurde.

Auslöser der Untersuchungen

Im September 1948 wandte sich Karl Schönfelder von der Bergakademie Clausthal an den Zellerfelder Entnazifizierungsausschuss. Er beschuldigte Franz Wever, Willy Oelsen und Peter Göbbels an der Denunziation und Verhaftung der Institutsmitarbeiterin Rosel Eckholt im Februar 1945 beteiligt gewesen zu sein. Schönfelders Angaben zufolge sei die Verhaftung Eckholts auf eine Anzeige Wevers hin erfolgt, „treibende Kräfte zu dieser Anzeige waren Prof. W. Oelsen und P. Göbbels, zwei Vorgesetzte von Fräulein Eckholt“.[1]

Als Zeugen benannte Schönfelder unter anderem den zwischen 1937 und 1943 amtierenden Rektor der Bergakademie Clausthal, Hans Grothe, und den Gewerkschaftssekretär Wilhelm Schreyer, der nach dem Krieg Landrat im Landkreis Zellerfeld wurde. Daraufhin erstattete der Öffentliche Kläger beim Entnazifizierungshauptausschuss des Landkreises Zellerfeld am 26. November 1948 Strafanzeige gegen Oelsen und Göbbels. Der Fall wurde für weitere Ermittlungen an die Oberstaatsanwaltschaft Göttingen weitergegeben.[2] Im Zuge der Untersuchungen gab Rosel Eckholt selbst zu Protokoll: „Ich wurde im März 1945 in Clausthal-Cellerfeld durch die Gestapo verhaftet. Ich wurde von einer Kollegin deunziert[sic!]. Auf Betreiben des Herrn Göbbels, der mein Laboratoriums-Chef war, wurde die Sache weitergegeben. Daraufhin wurde ich von der Gestapo verhaftet und 5 Wochen festgehalten. Wer die Anzeige erstattet hat, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.“[3]

Biographischer Hintergrund Rosel Eckholts

Rosel Eckholt wurde am 15. April 1921 in Lobberich im Kreis Kempen geboren. Nach dem Besuch der katholischen Volksschule in Breyell, bestand sie im Jahr 1940 ihr Abitur an der Realgymnasialen Studienanstalt (Luisenschule) in Düsseldorf. Im Anschluss daran besuchte Eckholt die Höhere Fachschule für Textilindustrie in Krefeld, wo sie im Februar 1942 ihren Abschluss als Chemotechnikerin machte.[4] Seit April 1942 war Rosel Eckholt beim KWIE als Chemotechnikerin beschäftigt. Ihre Aufgabe bestand in analytischen Arbeiten, die sie zunächst in Düsseldorf und nach der Verlagerung des Instituts in Clausthal-Zellerfeld durchführte. Eckholt war im Februar 1945 noch vor Kriegsende wegen abfälliger politischer Äußerungen von der Gestapo verhaftet und inhaftiert worden.[5] Nach Kriegsende kam sie frei und wurde im Juni 1945 vom KWIE entlassen.[6]

Zwischen April 1946 und Juli 1947 war Eckholt für verschiedene Einheiten bzw. Behörden der Alliierten in Düsseldorf als Büroangestellte tätig. Danach strebte sie eine Beschäftigung als Dolmetscherin und Stenotypistin an, weshalb sie einen Fragebogen der Militärregierung ausfüllen musste.[7] In diesem Fragebogen gab Eckholt an, dass sie in ihrer Jugend vom Dezember 1933 bis April 1939 BDM-Mitglied war und dort 1938 ein Amt als Gruppengeldverwalterin übernahm. Während ihres Studiums war sie Anwärterin beim Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB), gleichzeitig gehörte sie der Deutschen Studentenschaft an. Seit ihrer Tätigkeit beim KWIE war sie Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (DAF).[8] Nach Abschluss ihres Entnazifizierungsverfahrens wurde sie in die Kategorie V („Entlastete“) eingestuft, mit den Vermerken „Keine Bedenken“ und „Jugendamnestie“.[9]

Reaktionen Willy Oelsens

Willy Oelsen sah die Vorwürfe als persönlichen Angriff auf sich. Im Februar 1949 beklagte er sich über Schönfelder in einem persönlichen Schreiben an Franz Wever: „Er geht so weit, mich erneut in ein Entnazifizierungsverfahren hineinzuziehen. Er hat es fertiggebracht, den Fall Eckholt erneut aufzurollen, und drängte mich in die Rolle eines Beschuldigten vor die Staatsanwaltschaft. Ich nehme an, daß man auch Sie in dem nun laufenden Ermittlungsverfahren gegen mich hören wird. […] Immerhin ist dies eine sehr unangenehme und kostspielige Angelegenheit, die ich nur deshalb ertragen kann, weil ich ein reines Gewissen habe.“[10]

Dass er Eckholt bei der Gestapo angezeigt hatte, stritt Oelsen nicht ab. Es regte bei ihm offenbar keine Schuldgefühle, sondern er war der Auffassung, angemessen gehandelt zu haben. Dass Schönfelder den Fall aufbrachte, führte Oelsen auf berufliche Konkurrenz zurück: „Die Situation“ sei „eben die, daß er als der in 5 kategorisierte Antifaschist natürlich nicht zulassen kann, daß der in 4 kategorisierte Nazi den Lehrstuhl innehat. Jedes Mittel gegen mich ist ihm recht.“[11]

Weiterer Verlauf der Untersuchungen

Im Oktober 1949 vermerkte der Öffentliche Kläger bei dem Berufungsausschuss für die Entnazifizierung im Regierungsbezirk Hildesheim, dass die Staatsanwaltschaft Göttingen das Strafverfahren gegen Oelsen und die anderen „mangels des objektiven Tatbestandes eines Menschlichkeitsverbrechens eingestellt“ hatte. Zu der Beteiligung Oelsens hieß es weiterhin: „Der Betroffene hat zwar den Vorgang Rosel Eckholt formell zur Anzeige gebracht, aber aus Gründen, die nicht zu beanstanden sind. Ausserdem hat der Betroffene offensichtlich vorher mit allen Mitteln versucht, die Beschuldigungen gegen die Zeugin Eckholt abzubiegen und nach ihrer Verhaftung durch die Gestapo den Gestapobeamten zu Gunsten der Verhafteten zu beeinflussen.“[12]

Ende November 1949 zog Oelsen seine im Januar 1948 eingelegte Berufung gegen den Einreihungsbescheid als „Mitläufer“ vom 15. Dezember 1947 zurück.[13] Dies ist ein möglicher Hinweis darauf, dass er doch mehr in den Fall Eckholt verwickelt war bzw. verhindern wollte, dass dieser im Rahmen eines Berufungsverfahrens erneut aufgerollt würde. Aufgrund veränderter Bestimmungen bei der Entnazifizierungsentscheidung bestand für Oelsen jedoch seit Ende 1950 die Möglichkeit, einen Antrag auf Berichtigung des Einreihungsbescheids zu stellen und damit eine Einordnung in die Kategorie V zu erreichen.[14] Davon machte Oelsen am 8. Mai 1951 auch Gebrauch. Bereits am 17. Mai 1951 wurde Oelsen schließlich „gemäß § 2 ff. der VO. über Aufhebung der erneuten Überprüfung der Entnazifizierungsentscheidung vom 30. Juni 1949“ in die Kategorie V eingeordnet.[15]

Da auch Wevers Rolle bei der Anzeige gegen Eckholt nicht restlos geklärt werden konnte, waren die Ermittlungen gegen ihn ebenfalls 1949 eingestellt worden. Die Begründung lautete: „Nach Feststellung der Kammer II bleibt die Kategorisierung vom 28.10.1947 bestehen. Die Belastung des Herrn Schönfelder kann nicht als stichhaltig angesehen werden, da die von der Kammer gehörte Frl. Eckholt nicht angeben kann wer die Anzeige an die Gestapo 1945 gemacht hat.“[16] Die Einstufung als „Mitläufer“ blieb bestehen.[17] An der Stellung Wevers an der Spitze des KWIE und Oelsens wissenschaftlichem Renommee änderten auch die Vorwürfe und Ermittlungen rund um den Fall Eckholt nichts.

Bildergalerie

Einzelnachweise

zum ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis

  1. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Schreiben von Karl Schönfelder an den Entnazifizierungshauptausschuss für den Stadtkreis Düsseldorf, 12.09.1948.
  2. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Schreiben des Öffentlichen Klägers beim Entnazifizierungshauptausschuss des Landkreises Zellerfeld an den Berufungsausschuss für die Entnazifizierung Osterode, 26.11.1948.
  3. LAV NRW, NW 1002-I-23403, Bl. 16, Entnazifizierungsakte-Akte Franz Wever, Erklärung von Rosel Eckholt, 07.03. 1949.
  4. LAV NRW, NW 1002-MG-37371, Entnazifizierungs-Akte Rosel Eckholt, Fragebogen der Militärregierung, 28.07.1947.
  5. LAV NRW, NW 1002-I-23403, Entnazifizierungsakte Franz Wever, Schreiben von Karl Schönfelder an den Entnazifizierungsausschuss für den Stadtkreis Düsseldorf, 12.9.1948.
  6. LAV NRW, NW 1002-MG-37371, Entnazifizierungs-Akte Rosel Eckholt, Fragebogen der Militärregierung, 28.07.1947.
  7. LAV NRW, NW 1002-MG-37371, Entnazifizierungs-Akte Rosel Eckholt, Fragebogen der Militärregierung, 28.07.1947.
  8. LAV NRW, NW 1002-MG-37371, Entnazifizierungs-Akte Rosel Eckholt, Fragebogen der Militärregierung, 28.07.1947.
  9. LAV NRW, NW 1002-MG-37371, Entnazifizierungs-Akte Rosel Eckholt, Case Summary, 15.10.1947.
  10. MPIE, ohne Signatur, Personalakte Professor Oelsen, alte Akte, Schreiben von Oelsen an Wever, 07.02.1949.
  11. MPIE, ohne Signatur, Personalakte Professor Oelsen, alte Akte, Schreiben von Oelsen an Wever, 07.02.1949.
  12. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Vermerk des Öffentlichen Klägers bei dem Berufungsausschuss für die Entnazifizierung im Regierungsbezirk Hildesheim, 12.10.1949.
  13. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Schreiben von Oelsen an den Berufungsausschuss für die Entnazifizierung im Regierungsbezirk Hildesheim, 26.11.1949.
  14. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Schreiben des Berufungsausschusses für die Entnazifizierung im Regierungsbezirk Hildesheim an Oelsen, 12.12.1949.
  15. NLA HA Nds. 171 Hildesheim Nr. 20097, Entnazifizierungsakte Willy Oelsen, Einreihungsbescheid, 15.12.1947.
  16. LAV NRW, NW 1002-I-23403, Bl. 24, Entnazifizierungsakte-Akte Franz Wever, Schreiben der Kammer II bzgl. Politische Überprüfung Franz Wever, 10.05.1949.
  17. LAV NRW, NW 1002-I-23403, Entnazifizierungsakte Franz Wever, Schreiben politische Überprüfung Entnazifizierungsausschuss Düsseldorf Kammer II, 10.05.1949.